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Dreimal Liebe
Es gibt Stücke, denen literarhistorisch eine außerordentliche Bedeutung zukommt, obwohl sie schwerwiegende Mängel besitzen, die sich in unserer Zeit nur noch krasser geltend machen als einst. Dazu gehört das Trauerspiel „Miss Sara Sampson“ des 26jährigen Lessing, das derzeit im Volkstheater aufgeführt wird. Was sich da unserem Fühlen und Denken widersetzt, läßt sich durch die Wiedergabe nur mildern, nicht beheben. Die geschichtlichen Verdienste bestehen darin, daß mit diesem Stück die deutschsprachige Dramatik so recht erst anhebt, daß tragische Geschehnisse erstmals ins Bürgertum verlagert sind, wobei sich unter englischem Einfluß der Bruch mit dem französischen Klassizismus vollzieht und statt des Alexandriners die Prosa verwendet wird.
Es gibt Stücke, denen literarhistorisch eine außerordentliche Bedeutung zukommt, obwohl sie schwerwiegende Mängel besitzen, die sich in unserer Zeit nur noch krasser geltend machen als einst. Dazu gehört das Trauerspiel „Miss Sara Sampson“ des 26jährigen Lessing, das derzeit im Volkstheater aufgeführt wird. Was sich da unserem Fühlen und Denken widersetzt, läßt sich durch die Wiedergabe nur mildern, nicht beheben. Die geschichtlichen Verdienste bestehen darin, daß mit diesem Stück die deutschsprachige Dramatik so recht erst anhebt, daß tragische Geschehnisse erstmals ins Bürgertum verlagert sind, wobei sich unter englischem Einfluß der Bruch mit dem französischen Klassizismus vollzieht und statt des Alexandriners die Prosa verwendet wird.
Was gibt sich? Der leichtsinnige Kavalier Mellefont hat die zartsin-nige Sara, Tochter eines englischen Baronets, entführt. Als es seiner früheren Geliebten Marwood, die von ihm eän Kind besitzt, nicht gelingt, ihn zurückzugewinnen, vergiftet sie Sara, und Mellefont tötet sich an der Leiche des Mädchens. Lessings Freund, der Verleger und Schriftsteller Nicolai, weinte bei einer Berliner Aufführung „bis an den Anfang des fünften Aufzugs“, und dann erstickte die übermächtige Rührung sogar die Tränen. Uns aber ergreift die Rührseligkeit dieser kolportagehaften Vorgänge nicht mehr. Allerdings käme es nicht zu diesem Ende mit zwei Toten, würde sich nicht Mellefont in einer entscheidenden Situation reichlich unglaubwürdig verhalten. Und auch Sara mangelt es infolge ihres überbetonten Edelmuts an Uberzeugungskraft. Die Sprache vollends ist nicht überhöht, sondern sehr oft gespreizt, ja, bis ins Unerträgliche übersteigert, so wenn die als Furie gezeichnete Marwood begehrt, ihr Kind aus Rache an Meliefont durch „langsame Martern“ sterben zu sehen und erklärt: „Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied, Ader von Ader, Nerv von Nerv lösen“ bis es „nichts mehr sem wird als ein empfindungsloses'Ais“.'Die großen Vorzüge der späteren Meisterwerke Lessings lassen sich in diesem frühen Stück nur gelegentlich erahnen. Will man die „Sara“ unbedingt spielen, ist eine Bühneneinrichtung überaus nötig. Gustav Manker strich das Ärgste, stellte einige Szenen um und ließ Mellefont nicht durch den eigenen Dolch enden. Rudolf Kautek mäßigt als Regisseur dankenswert das Überhitzte der Vorgänge. Ingrid Fröhlich ist eine Sara von herber, sensibler Innerlichkeit, Friedrich Haupt wirkt dagegen als Mellefont zu männlich bestimmt. Sehr beachtlich erweist sich Anneliese Stöckl-Eberhart als leidenschaftsbesessene Marwood. Die Bühnenbilder von Maxi Tschunko zeigen kahle Räume mit wenigen Möbeln in ansprechend gedämpften Farben.
Im Gegensatz zur „Sara“ läßt einem die Wiederbegegnung mit dem Lustspiel „Leonce und Lena“ von Georg Büchner noch mehr als schon vordem in diesem Stück eine überraschende Vorwegnahme einer heutigen Situation erkennen: Junge Menschen sind unglücklich, „bloß weil sie sind“, in verbalen Salti mortali reagieren sie ihre Langeweile ab, Romantik bricht auf und wird mit ihren eigenen Mitteln erschlagen, sozialkritische Akzente geben das Salz zu allem. Diese Gestalten als Beatniks, Hippies und Gammler zu interpretieren, ihr Treiben, ihre Liebesbeziehungen aufzuzeigen, wie es in der derzeitigen Aufführung des Stücks unter der Leitung von Conny Hannes Meyer durch die Komödianten im Theater am Börseplatz geschieht, zeigt weitreichend eine geradezu verblüffende Berechtigung. Zugleich wird die Ausdeutung zur Kritik an der Revoluzzer-Attitüde dieser langhaarigen Außenseiter, die nichts aufbauend ändern, aber schließlich — es ist unschwer vorauszusehen — wohl im Herkömmlichen Genüge finden werden. Büchner hat das vorgezeichnet, mag sein Lustspiel auch den Prinzen vom Reich Popo und die Prinzessin vom Reich Pipi als Hauptgestalten haben. Die expressive, vielfach pantomimische Darstellung zeigt ebenso wie die treffliche szenische Lösung den besonderen Einfallsreichtum des Regisseurs. Die Wiedergabe erweist den Elan der durchwegs neuen Ensemblemitglieder.
Viele sehr beachtliche Stücke würden in Wien nicht gespielt werden, gäbe es nicht die Kleinbühnen. Das gilt auch für das Kürzdrama „Nachbarn“ von James Saunders, das derzeit im Theater im Palais Erzherzog Karl gegeben wird. Da kommt ein junger Neger ungebeten zu einer jungen Weißen, die unter ihm wohnt. Es ergibt sich ein Gespräch, das von ihm mit verkrampfter Anmaßung, von ihr, der liberal Denkenden, mit betonter Freundlichkeit geführt wird. Gerade dadurch aber, daß sie ihn, als Schwarzen, rücksichtsvoller behandelt als einen Weißen, fühlt er sich verletzt und benimmt sich indiskutabel. Ihre beiderseitige Sinnlichkeit vereint sie schließlich. Der einstige englische Hochmut, der sich in dem verachtungsvollen Wort „co-loured people“ ausdrückt, bewirkte Ressentiments bei den Negern,- dj, wie Saunders zeigt, noch nicht überwunden sind. Das wirkungsvolle realistisch-psychologische Stück, das Hilde Spiel trefflich übersetzte, gelangt unter der Regie von Helmuth Froschauer mit Miriam Gentner und Fritz Truppe zu guter Wirkung.
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