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Ein neues Werk des alten Meisters

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Als Strawinsky den Saal der Royal Festival Hall betrat, standen stillschweigend Orchester und Publikum aul und feierten den großen Meister in ergreifender Ehrfurcht. Schwer war es ihm offenbar geworden, auf das Podium zu kommen, bis zu seinem Pult zu gelangen, aber tief verbeugte er sich vor seinen Zuhörern und sobald der erste Einsatz gegeben war, spürte man nichts mehr von Altersschwäche — hier stand ein Mann so elastisch, so konzentriert und so voller Spannung wie nur irgendein Dirigent und das Orchester hatte es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, sein Bestes zu geben und jedem Wink, jeder leisesten Andeutung, jedem Mienenspiel des Meisters zu folgen. Mit sparsamsten und präzisesten Gesten, welche Ausdrude seiner ganzen Elinstellung sind und ganz gewollt nur Wesentliches aus- sagen und jede romantische Schaustellung verneinen, entfaltete er sein Jugendwerk, das damals seine Bekanntschaft mit Diaghilew herbeiführen und seinem ganzen Leben eine bestimmte Richtung geben sollte, das zur Hochzeit von Rimsky- Korsakows’ Tochter geschriebene „Feuerwerk”. Er ehrte mit diesem Werk seinen Meister und rüttelte zum erstenmal an dem Gerüst der damaligen Musikauffassung, entfesselte Klangkaskaden und pochte an tiefste Schichten des musikalischen Bewußtseins. — Der daraüf folgende „Sä&re äu ‘printemps” wurde’’ von Robert Craft in nicht sehr differenzierter aber wirkungsvoller Art dirigiert und der Effekt war durchschlagend und aufrüttelnd.

Die „Variationen zum Andenken von Aldous Huxley” bildeten zu den vorangegangenen Werken einen so großen Kontrast, daß man ein Programm vorgezogen hätte, in welchem außer dieser englischen Premiere nicht nur Werke aus der Frühzeit gestanden hätten, Werke die zwischen 1908 bis 1912 geschrieben wurden und der sogenannten „russischen” Zeit angehören. Damals galt es für die Hörer, mit Dissonanzen, Klangballungen, wilden Rhythmen und neuen Schlagzeugeffekten fertig zu werden und es war des Guten fast zu viel.

In dem neuen Werk geschieht Weniges. Es geschieht nur Weniges und dieses ist auf den engsten Raum zusammengedrängt. Wir haben zwar in den letzten Jahren gelernt, nicht nur zu hören, sondern zu lauschen, aber selbst bei zweimaligem intensivstem Lauschen — das Werk wurde zwar nicht, wie angesagt, von Strawinsky selbst dirigiert, aber es wurde sofort wiederholt — ist es schwer, alle die vielen feinsten Schattierungen aufzunehmen, die in dem hauchdünnen Gewebe der Stimmen verborgen sind. In der Art eines Concerto Grosso ist auch hier der Gegensatz zwischen solistischen und orchestralen Ensembles verwertet und innerhalb der engmaschig gefügten Fäden beobachtet man ständige Verlagerungen von Farben, während sich die Klangfarbenmonodie — der Ausdruck stammt von Strawinsky — im Inneren des musikalischen Vorganges entfaltet. Man könnte beim Anhören dieser Strukturen an musikalische Mobiles denken, da die ihnen innewohnenden Muster bei jedem Anhören neue Gestalt annehmen und Strawinsky empfiehlt gewissermaßen ein kinetisches Hören. Ständiger Schichtenwechsel eröffnet immer wieder neue Aspekte, und bereits bei der ersten Begegnung empfindet man, daß hier neuer Boden beschriften ist und auf engstem Raum, in kondensiertester Art mit Klängen, wie Strawinskys unerschöpfliche Phantasie sie immer wieder erfindet und erprobt, mehr gesagt wird, als auf den ersten Anhieb in Erscheinung tritt.

Das Programm schloß mit dem von Strawinsky selbst dirigierten „FeuervogelWieder beschränkte er sich auf wenige Gesten und entfesselte trotzdem im letzten Tanz eine ungeheure Wucht, die dann abgelöst wurde durch nicht enden wollende Ovationen. Die ausgezeichneten Musiker des „Neu: PhiUiąrmonia”. denen vom Publikum reicher Beifall gespendet wurde, schlossen sich den Zuhörern an und ehrten den „grand old man” der, offenbar tief bewegt, immer wieder mit erhobenen Händen und weisem Lächeln dankte.

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