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Elendsreportage: Diebe und Lügner

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„Die Tabakstraß e“, nach einem Roman von Erskine Caldwell, für die Bühne bearbeitet von Jack Kirkland, übersetzt von Fritz Hochwälder: ein obskures Sittenbild, eine Elendsreportage. Das Publikum wird gezwungen, an der Not und an der Faulheit, an der Hoffnungslosigkeit, den Lästerungen und dem Laster einer völlig herabgekommenen diebischen Farmersfamilie in einer nicht minder herabgekommenen Gegend Nordamerikas Anteil zu nehmen. Eine Weile lang läßt man es sich gefallen, bald darauf ist man erbost, und schließlich schlägt es um, ins Komische, ins ungewollt Groteske, im Zuschauerraum wird gelacht, Zwischenrufe setzen ein.

Am Broadway lief das Stück sieben Jahre lang: wahrscheinlich wurde glänzend und kompetent gespielt, vermutlich hat dies epische, schonungslosrealistische Bildwerk aus dem Notstandsmilieu Nordgeorgias dem amerikanischen Theaterpublikum Beziehungsvolles zu sagen, vielleicht zogen aber auch bloß die drastischen und unappetitlichen, in mancher Hinsicht „gewagten“ und „sensationell“ eindeutigen Details die Zuschauermassen ins Theater — wie immer: in der „Courage“, wo keinerlei Beziehung zu so einem Stück hergestellt werden kann, weder auf der Bühne noch im Parkett, weder im Sinne einer sozialkritischen Aktualität noch als Anteil erweckender Zustandsbericht, dort also, wo so ein Stück, herausgelöst aus jedweder psychischen oder gar geistigen Situation, verfremdet, verfrachtet, verpflanzt, nur als krasser Bilderbogen der menschlichen Verderbtheit um seiner selbst willen, als Selbstzweck demonstriert wird, mutwillig und lediglich der zweifelhaften Chance einer makabren Sensation wegen, dort ist es absolut fehl am Platze, unnötig und anfechtbar.

Die breitgewalzte Zeitlupeninszenierung Edwin Z b o n e k s, der die ganze Unerträglichkeit des Stücks so sehr forcierte und diesbezüglich so kompromißlos detailliert zu Werke ging, daß letzten Endes nur Überdruß und eine lähmende Öde eintraten — und nicht enden wollten, zeugte zwar eine beachtliche Geschicklichkeit des Regisseurs, drastische Szenen herzustellen, machte aber die Sache nicht besser. Die Schauspieler, typenmäßig zwar gut besetzt und mit (stellenweise outrierendem) Eifer an der Arbeit, retten den Abend nicht. Peter Weihs, besonders profiliert diesmal, verliert sich doch zu sehr in komödiantische Kleinmalerei, Friederike Dorff karikiert nahezu, Helga Dohm bleibt trotz mancher guter Ansätze ziemlich farblos und Elisabeth Roth hat von Haus aus nicht viel Echtes zu geben. Gertie Schmiedl, Walter Vogel und Adolf Wessely zeigen Talent und einige Persönlichkeit. Das Bühnenbild von Lorenz Withalm hat Atmosphäre.

Unvergleichlich harmlos, unansehnlich, bescheiden heiter geht es im Theater am Parkring zu: Man spielt das Lustspiel „Die Dame und der Lügner“ von Holger R u u t s. Die Handlung von einem Freier, der sich, um an das Herz seiner Auserwählten heranzukommen, mit ausgeborgten antiken Möbeln umgibt (denn ohne diese fühlt sich die Dame in seiner Wohnung nicht zu Hause), ist mehr eine Gelegenheit für konversationsgeübte Schauspieler, zu zeigen, wie persönlich und humorvoll man selbst ein Nichts spielen kann Rudi Schippel, Martha Dangl, Joe Trümmer und Beatrice Ferolli sind (unter der Regie von Tino Schubert) ziemlich fern davon.

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