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Entzauberung der Entzauberung

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ENTZAUBERUNG DER EPOCHE. Reden und Aufsätze von Franz Taucher. Verlar Sty-ria, Graz-Wien-Köln. 123 Seiten. S 78.-.

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ENTZAUBERUNG DER EPOCHE. Reden und Aufsätze von Franz Taucher. Verlar Sty-ria, Graz-Wien-Köln. 123 Seiten. S 78.-.

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uer ron macnt die Musik, die Sprache den Dichter, der Stil den Schriftsteller und, vorweg gesagt: angenehm ist es, der rechten Mischung aus Denken und Dichten in diesen Reden und Aufsätzen sich hinzugeben, dem schönen Fluß ihrer Sätze das Ohr zu leihen. Wenn der journalistische Anlaß belanglos wird und bedeutungslos die Aggressivität, mit der da lebende Kritiker, Philosophen, Schriftsteller, Leserbriefschreiber, Zeitungen und österreichische Unterrichtsminaster aufs Korn genommen werden, dann kann man sich der schönen Redner- und Schreibbegabung und der immer gescheiten und dichten und oft sehr dichterischen Sprache ganz freuen. Die Bildner und Vorbilder dieses Stils brauchten nicht angegeben werden, doch werden sie oft genannt: Von Goethe bis Rosegger die besten, an denen auch heute nichts zu bessern ist und die — das glauben auch wir — uns noch viel zu sagen haben, die aber... Wer verstünde nicht das Zögern dessen, der Kritik anzusetzen wagt an der „Entzauberung der Epoche“, die als eine Entzauberung jener Entzauberung gemeint ist, die unsere Epoche sich selbst und jenen Vorbildern angedeihen läßt. Darum geht es: Daß dieser Autor „über Fünfzig“ den Mut hat — und der gehört dazu — und auch Mut machen will, auf der Fahrt, die vielleicht in den Abgrund führt, da alle immer noch „mehr Gas“ geben wollen, auf die Bremse zu steigen. Und tut er nicht recht daran? Und hat er nicht recht, der Zeitkritiker, der ja immer recht hat? Denn so hatte Hanslik gegen den Musikverwandler Wagner recht, so lange recht, bis dieser sich durchgesetzt, bis dann doch die Verwandlung recht behalten hat. Fragen wir uns doch: Wäre es nicht merkwürdiger, och zu sehen, wie die Kunst in den ausgefahrenen, wunderbar funktionierenden Bahnen blieb, während Krieg und Technik die Welt aus den Angeln hoben? Wenn es immer schon in der Welt das Furchtbare und die Angst gegeben hat, wie der Autor glaubt, und nan also sagen kann, sie sei heil geblieben, dann muß diese Behauptung auch durch Beispiele vorgelebt, vorgedichtet, vorgemalt, vormusiziert, mit einem Wort, durch Kunst bewiesen werden. Und wenn sie es nun nicht tut und wenn wir uns einig sind darüber, daß 99 Prozent der Künstler Snobisten sind, die es zufleiß nicht tun, soll uns das abhalten können, dem restlichen einen Prozent zu glauben, daß der Beweis nicht geliefert werden kann?

Dem Autor, der nichts vom Zaun bricht, was nicht tief begründet wäre, müssen wir fast immer zustimmen. Der angezogene Satz aus einer Wahlrede des Günter Graß zum Beispiel ist wirklich abscheulich. Aber es ist auch nicht fair, diesen Fehler an dieser Stelle einer Persönlichkeit anzukreiden, die immerhin die „Blechtrommel“ schrieb und darin die Epoche literarisch, und nicht gerade schlecht, nachformte. Soll man schneiden, ehe man sicher ist, ob die neuen Triebe nicht doch keine Auswüchse, sondern einfach das neue Leben sind, in dem die Welt verwandelt weitermachen soll?

Das Büchlein ist Benno Reifenberg gewidmet, der für den Autor zu sein scheint, was Gütersloh für Doderer war. Und wahrlich, er hat sich da keinen schlechten Stern ausgesucht. Reifenberg scheint nur bedeutende Gedanken zu haben. Vor der Wahrheit seines Wortes: es komme unerbittlich an den Tag, ob derjenige, der einen Gedanken ausspricht, auch ein Recht dazu besitze, ihn zu verkünden, müssen wir all zittern.

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