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Erwartung ohne Ziel

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Ein, sehr gut geschriebenes, aber ein deprimierendes Buch, dieser erste Roman einer jungen deutschen Autorin. Da werden an einigen Figuren kühl und gelassen bestürzende Symptome unserer Zeit registriert: Leere, Überdruß and Langeweile, Einsamkeit und Kontaktunfähigkeit. Eine graue, dürre Welt ohne Hoffnung, in der der Versuch nicht zu lohnen scheint, das Leben zu ändern, da es ja doch wieder ins Sinnlose abgleiten würde.

Ruth Rehmann schildert das Wochenende von vier Angestellten eines großen Industriekonzerns, das das Fiasko ihres privaten Lebens offenbart. Da ist die dreiundsechzigjährige untadelige Vorsteherin des Di-rektionsbüros, Frau Schramm, die gerade ihre Kündigung erhalten hat und nun feststellt: „Ich habe kein privates Reservat... ich habe auch kein Hobby . .. meine Lieblingsbeschäftigung ist die Firma, ich pflege keine Geselligkeit, lese nicht gern. Reisen bereitet mir Unbehagen...“ Was tun also jetzt, womit die Leere ausfüllen? Frau Schramm erreicht schließlich ihre Versetzung in die Registratur; aber, darüber gibt es keinen Zweifel, in einigen Jahren wird sie, genau so unvorbereitet, vor der gleichen verzweifelten Situation stehen.

Carmen Viol, eine mittelalterliche Dame, die Frau Schramms alte Stelle übernehmen soll, hat wenigstens eine persönliche Vergangenheit, die sie jedoch nicht vor „galoppierender Torschlußpanik“ schützt. Erinnerungen an fragwürdige Liebesaffären, Illusionen die Gegenwart betreffend, und uneingestandene Angst vor der Zukunft füllen ihr Wochenende aus.

Dann ist da noch Herr Westermann, dessen berufliches und privates Dasein gleichermaßen mißglückt ist, und dem an diesem Samstag auch noch der Glaube an einen vergötterten Jugendfreund grausam zerstört wird. Nun klammert er sich mit seinen Wünschen und Hoffnungen an seinen kleinen Sohn: „Paul Westermann, noch offen, neu, unbestimmt und möglich .. .“

Die vierte ist Therese, eine sehr anziehende, aber völlig haltlose junge Frau („sie konnte nichts dafür, wenn sie in andere Strömungen abtrieb“), die sich sehr gern an die Hand nehmen und festhalten lassen würde; aber sie hat das Pech, immer an „Trottel, Lebemänner oder Asketen“ zu geraten.

Allen diesen Menschen mangelt es an tragfähigen Fundamenten, auf denen sich ein sinnvolles, erfülltes Leben bauen läßt; oder richtiger gesagt, sie sind nicht fähig zu solchem Leben. „Was nicht 'rauskommt, ist nicht drin, und was nicht drin ist, kommt nicht raus, jeder ist was er tut und tut was et ist, sonst nichts“, siniert Herr Westermann. Was hier 'rauskommt, ist von erschreckender Zufälligkeit, ist eine einzige „Erwartung ohne Ziel“, wie es einmal von Carmen Viol heißt: „,.. ihre Zeit, ihr Leben, ihre Wirklichkeit, nichts weiter als ein Netz von Erinnerungen mit zu weit gespannten Maschen in die Strömung gehängt, und wenn es hochgezogen wurde, war es leer.“

Ruth Rehmann schildert diese Leere, erstarrte Welt ihrer Gestalten völlig leidenschaftslos; sie nimmt nicht Stellung, sie registriert. Hier und da fällt ein Schimmer gelebten Lebens in die sinnlos verrinnende Zeit; aber das bleibt sehr flüchtig, es trägt nicht über den Augenblick hinaus. Es gibt kein lebendig erfülltes Hier und Jetzt, weil die Vergangenheit ohne Fülle ist; und die Zukunft ist ohne Hoffnung, weil keine gelebte Vergangenheit und Gegenwart da ist. Nun ist das gewiß kein Ausnahmezustand in unserer Welt. Aber es gibt doch auch immer noch Menschen, die aus einer Mitte leben, deren Existenz in Bereichen außerhalb ihrer selbst, im Transzendenten, verankert ist. Man möchte der sehr begabten Autorin wünschen, daß sie auch diese Regionen entdeckt, aus denen der Mensch, heute wie eh und je, gültige Maßstäbe, Kraft und Sicherheit zu beziehen vermag

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