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Es geschah in der Bandgasse...

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Dieser Veröffentlichung, die durch die Diskussion um das „Volksblatt" zur Jahreswende aktuell ist, liegen neben den persönlichen Erinnerungen des Verfassers auch dankenswert ausführliche Dokumentationen noch lebender Mitarbeiter des „Kleinen Volksblattes“ von 1929 bis 1944 zugrunde. Sie konnten natürlich nur auszugsweise verwendet werden, bilden jedoch einen wertvollen Bestand des Herold-Archives und einen Beitrag zur Zettungs- und Zeitgeschichte.

JL.

Die Nacht zum 27. Jänner 1929 ist nicht wie jede andere. Sie ist eine der kältesten des Jahrhunderts — zwei Wochen später wird das Thermometer in Wien und seinen Vorstädten auf die Rekordtiefe von 30 bis 32 Grad sinken. In dieser Nacht zum 27. Jänner aber kämpft sich verzweifelt ein Dutzend blitzblanker, funkelnagelneuer, lichtblauer Dreiräder durch Schneestürme und die vereisten Straßen Wiens, beladen mit ungewöhnlicher Fracht: den ersten noch druckfeuchten Exemplaren einer eben erst geborenen 8-Groschen-Zeitung, des katholischen „Kleinen Volksblattes“ im Herold-Tochterverlag „Albrecht Dürer“, Wien VII, Bandgasse 28, das sich mit dem lange schon vorbereiteten Werbeslogan „Alle wollen es haben“ gegen eine erdrückende bürgerlich-liberale und sozialdemokratische Übermacht der kleinformatigen Presse, einer österreichischen, von der „Kronenzeitung“ kreierten Spezialität, durchsetzen soll. Mensch und Maschine leisten Unfaßbares, aber was nützt es, daß die tief vermummten Fahrer dauernd mit heißem Tee „aufgetaut“ werden. Die Maschinen — o du wunderliches Zeitalter der Technik! — streiken, die Räder drehen auf den schneeglatten oder eisblanken Straßen durch, die Fahrzeuge stocken, bleiben stecken und fallen reihenweise aus.

Schlechter Start, gute Fahrt

Und so stolz war das „Kleine Volksblatt“ auf diese modernste Wiener Trafik- und Bahnhofexpedition gewesen! Das Ende: verpaßte Zuganschlüsse in die Bundesländer und nicht belieferte Trafiken in den Wiener Außenbezirken. Erschöpft und verzweifelt sucht die Verwaltung im Morgengrauen zu retten, was noch zu retten ist; sie greift auf die konservativste Methode zurück und schickt dutzende in aller Eile zusammengetrommelte alte Weiberln als Austrägerinnen aus. Und ihnen gelingt, was der modernsten Technik mißglückt ist: wenigstens einen Teil der Wiener Trafiken mit der neuen Zeitung zu beliefern. Trotzdem ist der Ausfall immens und die Enttäuschung der auf „ihre“ Zeitung vergeblich Wartenden schmerzlich.

Ein Unglück kommt selten allein. In dieser Nummer 1 „prangt“ auf Seite 32 (dem üblichen Umfang der Sonntagsauflage) folgendes Inserat: „Frau, geschieden, mit Wohnung, sucht braven Lebensgefährten.“ Und das im Blatt der Katholischen Aktion! Was hilft die nachträgliche einwandfreie Feststellung und Veröffentlichung im Blatte, nach der ein böswilliges Konkurrenzmanöver das Kuckucksei gelegt hat — monatelang hat das neue Blatt daran zu würgen.

Das war die denkwürdige Nacht zum 27. Jänner 1929. „Totgeburt“ sagte die Konkurrenz schadenfroh. Der Realist (und Chronist dieser Zeilen) murmelte trotzig: Schlechter Start, gute Fahrt.

Er sollte recht behalten.

)as Profil

Das böse, freilich den damaligen Instand richtig wiedergebende Wort .Cattolioa non leguntur" (Katholi- ;ches liest man nicht), begann unge- ähr gleichzeitig in Literatur und Presse abzubröckeln, was bei der 'Tot- und Todbrüderschaft der bei den nicht weiter verwundert. In der Presse mündeten schließlich einige beachtenswerte Ansätze mehrerer Tageszeitungen vor dem ersten Weltkrieg in die „Reichspost“, gefördert durch die Autorität Doktor Friedrich Funders und seine Vertrauensstellung beim Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand.

Die „Reichspost“ war für einen unbefangenen Beurteiler ihrer nicht ganz 50jährigen Geschichte eine gute Zeitung. Ihre große Zeit lag vor dem und im ersten Weltkrieg; in der Zwischenkriegszeit hatte sie bei aller Kampffreudigkeit die Belastung der wildbewegten Zeit und ihrer Irrtümer zu tragen. Ihre Stärke waren der Leitartikel und die Politik, Kirche und Kunst. Ihre Schwäche: der Lokalteil, dem ihr Herausgeber einen für den Ereignishunger der damaligen Zeit viel zu geringen Raum zuwies.

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