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Fern- bzw. Fernsehreisen

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Die Metropolen der Welt haben ihre Reize solange man sie noch nicht alle besucht und besehen hat. Und da in den Zeiten wachsender Armut und Verwahrlosung immer mehr Menschen noch nicht alle Metropolen der Welt besucht und besehen haben, boomt der Städtetourismus. Es ist ja wie bei Währungen, Waren und Versicherungen: Erst der Vergleich macht sicher! In Wien zum Reispiel sind mehr Menschen auf der Straße als in Zürich, hingegen in New York mehr als in Wien und in Tokio mehr als in New York. Daraus lassen sich natürlich soziale und kulturelle Schlüsse ziehen. In Chicago sind die Häuser höher als in London, in Mexiko City ist mehr Verkehr als in Paris, in Stockholm ist das Essen teurer als in Rudapest. Wer das alles gesehen hat und weiß, der bestreitet die Konversation über Städtereisen spielend und wird von den Daheimhockern für einen Weltmann gehalten, was heutzutage gleichbedeutend mit universeller Rildung ist. Dieses hehre Ziel haben, wie eingangs erwähnt, noch lange nicht alle Erdenbewohner erreicht. Die Tourismus-Weltorganisation rechnet daher den Städtetourismus zu den hervorragenden Wachstumsbranchen der Zukunft.

Mich beschäftigt, da meine Mittel und Möglichkeiten relativ begrenzt sind, seit einiger Zeit die Frage, wie ich es anstellen könnte, den Vorsprung der weitgereisten Weltmänner einzuholen. Schließlich ist es ja blamabel und demütigend, in der Diskussion über die Rierpreise von Casa-blanca im Vergleich zu Prag nicht mitreden zu können. Nicken und beiläufiges Gemurmel ersetzt zwar manchmal die fundamentalen Informationen. Aber es gibt Weltmänner, die stellen auch einmal die entlarvende Frage: „Waren Sie schon dort?” Ohne ausreichende Reweise in Form von Vergleichen lügt es sich dann schwer.

Mehr als zwei Metropolen pro Jahr habe ich bisher nicht geschafft. Ris zu meinem Tode werde ich den Vorsprung nicht aufholen. Und am Sterbebett hilft mir ein Vergleich der Zustände in den Krankenhäusern von Rombay mit denen in Rerlin auch nicht mehr.

„Wo aber Gefahr ist”, du lieber Hölderlin, „wächst das Rettende auch!” Gerettet aus meiner Verlegenheit wurde ich durch ein unfreiwillig belauschtes Gespräch zweier Städtetouristen, als ich wieder einmal mit meinen bescheidenen Mitteln unterwegs in eine Metropole war.

„Diesmal mache ich New York, Washington, San Francisco, Los Angeles, Rio de Janeiro, Kairo und Nairobi. Mehr geht nicht. Ich bleib nur übers Wochenende”, sagte der eine Reisende.

„Wieder im Hilton in Rudapest?”, fragte sein Gesprächspartner. Ich war erstaunt, oder - um es weltmännisch auszudrücken - von den Socken. Unternahmen diese superflotten Städtetouristen etwa virtuelle Reisen am Computer? Dazu hätten sie ja nicht nach Rudapest fahren müssen. Oder wird man bei der virtuellen Reise in der ungarischen Metropole vom Tokajer beflügelt und von heimischen Familienmitgliedern weniger gestört? Oder gibt es vom Hilton aus ein geheimnisvolles Überschallflugzeug, welches die interkontinentale Gewalttour in zwei Tagen schafft? Oder aber sind die beiden Bildungsreisen -den vielleicht nur Angeber?

Ich hörte weiter zu und erfuhr, daß die geplante Weltreise sehr gemütlich sei und noch genügend Zeit zu einem Stadt- und Lokalbummel bleibe. Man soll als wohlerzogener Mensch besonders gegenüber Weltmännern nicht indiskret sein, aber mich überwältigte die Neugier. „Entschuldigen Sie bitte”, rückte ich näher, „aber wie machen Sie das mit sieben Weltstädten in zwei Tagen von Rudapest aus?”

Die Weltmänner lachten und zeigten sich auskunftsbereit. Einer öffnete den Koffer. Dieser war mit TV-Kassetten dicht gefüllt. Der Weltmann ließ seinen Finger über die Etiketten gleiten, auf denen die Städtenamen standen. „Im Hilton haben wir ein schönes Zimmer mit einem ausgezeichneten Video-Recorder”, meinte er. „Und Rudapest selber, Denkmäler, Museen, Kirchen?”, bemerkte ich schüchtern. „Rudapest haben wir schon in Rerlin gehabt!”, erklärten die beiden.

Jetzt weiß ich, was ein sogenanntes Aha-Erlebnis ist. „Und warum sehen Sie sich die Kassetten nicht gleich daheim an?” „Aber bitte, fortfahren muß man schon, sonst glaubt einem das doch kein Mensch!”

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