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Gezähmte Menagerie

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Der Tiger sitzt nicht mehr im Tank. Vermutlich war es dort auch zu ungemütlich für ein prächtiges Baubtier. Er ist in die freie Wild(Auto)bahn entkommen und rennt dort zur Freude unserer fossilen Vorräte mit den vierrädrigen Wildsäuen um die Wette. Und weil er das so flott kann, hat ihn die Computer-Animation gekidnappt. Tu den Tiger in die Tasten! Ein Doppelleben somit. Keine Sorge für die Erhalter seiner Art.

Das wäre ein Lichtblick. Doch, ach, hinweggerafft hat es dafür das fliegende Roß. Zuviel Mobilität, Überzüchtung, Rückführung in den Dichterhimmel, wo es ursprünglich das Maskottchen poetischer Inspiration war. Werden die Dichter dem Pegasus die Treue halten? Wie lange halten Zwitterwesen überhaupt die werbliche Abnützung aus? Noch lebt, in Italien mehr als bei uns, die Agip-Kreuzung von Hund und feuerspeiendem Drachen. Seltener als in den Nachkriegsjahren des Hollywood-Booms brüllt noch der Metro-Goldwyn-Mayer-Löwe, aber er lebt noch. Hingeschieden mit der alten Schallplatte ist Nipper, der treuherzige Foxel, der seit Schalltrichters Zeiten „his Masters Voice”, der Stimme seines Herrn, so hinge-gungsvoll lauschte.

Gnadenlos treibt die Werbewirtschaft ihr Vieh an die Schlachtbank ohne Wiederkehr. Der Hase, welcher so gut wußte, wohin die Sparkasse läuft, wurde erledigt. Die sparsame Biene, um deren Bestand ernstlich zu fürchten war, har sich 'zunächst verkrochen und im Unterschlupf treulos den

Auftraggeber gewechselt. Jetzt fliegt sie als Sumsi für Raiffeiesen. Im hohen Norden hat indes dier IKEA-Zeitgeistjäger den Elch erlegt.

Vielleicht war so mancher Tiertod doch voreilig. Man bedenke, daß die Saurier nicht so schnell ausgestorben sind wie sie Steven Spielberg wieder erweckte. So um die 50 bis 100 Millionen Jahre dauerte der Untergang der Riesen-Echsen in der Kreide. Dennoch ist da das Leben des langlebigsten Werbe-Lurchs schon fast ein Zeitalter. Seit 18&7 nämlich, so erfuhr ich es kürzlich, sitzt der Frosch auf der Erdal-Dose. Wie kurzlebig nimmt sich Lacostes Krokodil dagegen aus! Doch immerhin, Werbe-Brehms-Tierleben floriert da noch. Über alle Durststrecken hinweg trabt das Ca-mel-Kamel, biologisch eigentlich ein Dromedar. Das Primo-Entlein hingegen ist entfleucht - und der Klopapier-Marienkäfer dient nur mehr der schnöden Gewichts- und Weichheits-Demonstration. Da höhnt der weiße Reise: die Ente ist aufs Klo gekommen. Und da verfolgen .sie die Umweltschützer.

Die Züchtung einer violetten Kuh ist dem Rinderwahnsinn noch nicht zum Opfer gefallen. So neu ist die Sache übrigens nicht. Als einst in Kriegszeiten die Festung Hohensalzburg belagert wurde und den Belagerten der Proviant auszugehen drohte, dachten sie sich zur Täuschung der Feinde einen Trick aus. Sie trieben die letzte Kuh (oder den letzten Stier) mehrmals um die Festungsmauer und färbten das Tier jedesmal um, um reichlichen Proviant vorzutäuschen. Der Kosename Salzburger Stierwascher rührt von dieser Begebenheit her.

Zurück in die Gegenwart: Schade um den schlauen Postfuchs. Er war so musikalisch, wenn er ins Horn blies. Er hat uns viel bedeutet und erklärt, der Postfuchs. Kein Kritiker, der sich über Mängel des Postdienstes beklagte, kam ohne Hinweis auf ihn aus. Privatisierung beschleunigt das Artensterben. Unendliches Leben gibt es künftig am sichersten noch außerhalb der Reklame. Nessie ziert keinen Reiseprospekt - und büßt dennoch seine Anziehung nicht ein.

Unter den einheimischen Tieren hätscheln wir indes ein unsichtbares, aber oft gegenwärtiges Roß: den Amtsschimmel. Er wird uns alle überleben.

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