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Gut sein und leben...

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Die Bühnenwerke, die Bertold Brecht im skandinavischen Exil schrieb, haben kaum den Charakter politischer oder sozialer Kampfstücke; sie sind vor allem Dramen, Welche den Menschen zum Gegenstand haben, dem die Hingabe des Dichters gilt. Eines der schönsten von ihnen, wenn nicht überhaupt das schönste, ist das Parabelstück Von dem Mädchen Shen-Te, das trotz einer von den Göttern geschenkten Geldsumme beim besten Willen nicht immer gut sein kann, weil es dem guten Menschen in der „kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ verwehrt ist, zu leben. Der Befehl der Götter, „gut zu sein und doch zu leben“, muß Shen-Te also „wie ein Blitz in zwei Hälften zerreißen“. In einer verzweifelten Existenzspaltung vermehrt und vergrößert sie ihre Habe unter der Maske des ausbeuterischen Vetters auf Kosten der anderen. Denn: „Gut sein zu anderen und zu mir konnte ich nicht zugleich.“ Wie eindeutig die Tendenz dieser Parabel in ihrer naiven Utopii iueh sein mag, so drückt die scheinbare Ratlosigkeit des Epilogs, der däl Publikum auffordert, sich selbst einen guten Schluß zu suchen, doch eine echte Ratlosigkeit des Autors aus, zumindest seinen Zweifel an der Einfachheit der Lösung des behandelten Problems.

Derlei Überlegungen aber erscheinen müßig angesichts der eindringlichen, höchst unmittelbaren Wirkung, die von diesem Werk ausgeht. „Archetypische Situationen der Menschlichkeit“ erscheinen hier in einem so naiven, herzlichen berührenden Lieht, daß sie einen ehrlichen und guten Anruf ans Gewissen der Zuseher darstellen. An die Stelle der großen Ideale, wie sie die völlig lebensfremden Götter verkünden, an die Stelle der im Formalan erstarrten „Tugenden“ will Brecht die weniger wohlklingenden, aber dafür um so nützlicheren und nötigeren Tugenden zwischenmenschlicher Beziehungen gesetzt wissen, ein praktisches Gutsein, das die böse Welt ändern könnte. Von welcher Seite Immer man dieses reiche, von herber Poesie durchzogene Werk auch betrachten mag, es bietet stets neuen Anrete zum Nachdenken und zur Besinnung.

Fritz Zecha macht seinem Publikum den Abschied von ihm wahrlich nicht leicht. Seine Modelllnsze-nierung des „Outen Menschan“ Im Qrater Schauspielhaus läßt nichts von den Forderungen des Theatermannes Brecht unbeachtet, ist von geradezu unwahrscheinlicher Präzision des Stils und insgesamt von ergreifender, achlichter Naivität, die in manchen Augenblicken von der Welt Ferdinand Raimunds nicht mehr fern ist. In Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Skalicfci und dem Dirigenten Furrer entstand hier ein Stück totalen Theaters, ein vom Intellekt gesteuertes und dennoch das Gefühl zutiefst berührendes Gesamtkunstwerk, wie man es in solcher Qualität normalerweise nur in großen Theaterstädten erleben kann. Dies allerdings auch der Hauptdarstellerin wegen: die junge Libgart Schwarz ist als Brecht-Spielerin eine wirkliche Entdeckung. Sie beherrscht die Elemente der „Verfremdung“ meisterhaft und weiß inabesondere durch die Anmut marlonettenhafter Gestik und durch eine herrliche Pantomime (im siebenten Bild) zu bezaubern. Vorzüglich als ihre Partner sind vor allem Rudolf Buczolich (Wang), Hermann Treusch (Sun) und Marianne Kopatz (Shin).

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