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Heile und Versehrte Welt

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Diesseits. Kleine Welt. Fabulierbuch. Von Hermann Hesse. Suhrkamp-Verlag. 987 Seiten.

Der umfangreiche Band vereinigt drei längst vergriffene Prosabücher Hesses. Unter dem Titel „Diesseits“ stehen fünf Stücke aus der alten Sammlung gleichen Namens und drei Erzählungen aus „Schön ist die Jugend“ von 1916; „Kleine Welt“, zuerst 1933 erschienen, umfaßt sieben Stücke, darunter drei ältere: das „Fabulierbuch“ schließlich enthält 27 Stücke, die 1904 bis 1927 geschrieben wurden. Hier finden sich die interessantesten und geistvollsten Geschichten, phantastische Capriccios, tiefsinnig und hintergründig, würdig des Glasperlenspiel-Meisters. Nicht geringer, aber freilich von ganz anderer Art. ist der Zauber der einfachen Erzählungen. Mit diesen steht Hesse, der gebürtige Alemanne aus Calw am Neckar, in der großen schwäbischen Erzählertradition. Die einfache Erzählung von dem Notariatsgehilfen Ladidel etwa hat jenen musikalischschwebenden Ton, der ab und zu, wie von leisen Beckenschlägen, durch^ realistische Wendungen unterbrochen wird und den Hesse auf unvergleichliche Art beherrscht.

Beschwörungen. Von Hermann Hesse. Suhrkamp-Verlag. 294 Seiten. Preis 12 DM.

Wer Hesses Kulturpessimismus und Einsamkeitsbedürfnis kennt, ist überrascht, mit welcher Arglosigkeit der Dichter hier Einblick in sein Privatleben gewährt: Erinnerungen und Träume, Medi' tationen und Briefe an Freunde, Begegnungen mit Menschen und Tieren, literarische Erlebnisse und Eindrücke des Radiohörers. Ja, ab und zu dreht auch der alte Dichter am magischen Knopf und läßt die Stimmen der Welt zu sich herein. Was er zum Beispiel über die iungverstorbene englische Altistin Cathleen Ferner sagt, deren Schumann-Lieder er ergriffen lauscht, gehört zum Schönsten, was dieser edlen und begnadeten Künstlerin übers Grab nachgerufen wurde. Ehrfurcht und hellsichtige Kritik sind bei Hesse oft seltsam gemischt, etwa in der Schilderung einer Aufführung der ,.Matthäuspassion“ in der Calwer-Kirche unter der Leitung seines Onkels. Aber diese zwang- und sorglos aneinandergefügten Blätter entbehren nicht des Gemeinsamen: es ist das ..Poetische“ im eigentlichen Wortsinn, der T o n, der uns bezaubert. Nicht zuletzt deshalb, weil er in solcher Reinheit so selten zu hören ist.

An den Wassern von Babylon. Roman. Von. Robert Neumann. Verlag Kurt Desch. Wien-München-Basel. 990 Seiten.

Vor langer, langer Zeit, 1938, als noch da und dort Frieden in der Welt wo., stürzte an der Grenze des englischen Protektorates Palästina ein Autobus mit illegalen Einwanderern in die Tiefe. Die zwölf Schicksale, die Robert Neumann wie spannende Kurzfilme vor uns abrollen läßt, spiegeln, grausam und hart, das Schicksal des jüdischen Volkes während der letzten .50 Jahre. Idealisten, Naive und Romantiker, Verblendete und Ueberhebliche, Geldgierige. Opfermutige und Skrupellose: der welterfahrene Autor kennt leine Leute, er kennt sie freilich besser als die „andern“, die schuldig und mitschuldig wurden am beklagenswerten Ende dieser zwölf. Die Vorgänge im Wien des Jahres 1934 („Lewy oder Die Romantik“) sind aus der Perspektive des kämpferischen Sozialisten gesehen.

Musik in ; Florenz. Roman. Von Alexander Märai. Eduard Wancura Verlag, Wien-Stuttgarf.247 Seiten.

In einem siebenbürgischen Berggasthof, im letzten Winter des zweiten Weltkrieges,; macht der Autor die Bekanntschaft des ehemals berühmten Virtuosen Z. und kommt in den Besitz von dessen Aufzeichnungen, die er nach dem Tode Zs. veröffentlicht. Es ist die mit qualvoller Realistik und Intensität erzählte Geschichte einer rätselhaften Krankheit, die klinische Schilderung und psychologische Auseinandersetzung, mit dem Schmerz, als dessen „existentielle“ Ursache der Erkrankte die große Lebenslüge erkennt, die seinen Geist und seinen Körper seit vielen Jahren vergiftet hat. Ein sehr ernstes, faszinierendes Buch, das den Leser durch einen harmlos-freundlichen Titel anlockt und dann raubtierartig überfällt. Der Autor von „Begegnung in Bolzano“ und „Die Kerzen brennen ab“ hat in Arthur Saternus einen kongenialen Uebersetzer gefunden, dessen Sprache so scharf und sauber ist wie die Instrumente in dem italienischen Krankenhaus, wo der große Virtuose Z. seine Lebenskrise erleidet und seine Genesung erlebt.

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