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HEINRICH FICHTENAU / GESCHICHTE ALS ZUKUNFT

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Österreichs Hochschulen sind Österreichs Schicksal: Wer sich der Wege und Irrwege einer an unseren Universitäten herangebildeten Intelligenz in den für Österreich so kritischen Zeiten nach 1866, vor 1914, nach 1918, um 1934, vor 1938 erinnert, wird sich der schmerzlichen Kluft bewußt, die hierzulande immer wieder aufbrach: zwischen einem unterentwickelten Staatsbewußtsein und einem fehlentwickelten Nationalismus, zwischen einem tiefeingewurzelten Provinzialismus und einem ihm korrespondierenden schwärme-

rischen Reichstraum einerseits, und einem Vorbeisehen an den wirklichen Aufgaben der österreichischen Gegenwart. In besonderem Maße haben die Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung in Österreich an diesen tragischen Wechselfällen mitzuleiden gehabt und haben sie ihrerseits mitgeschaf-fen.

Im Zentrum der Geschichtsforschung in Österreich steht das altehrwürdige Institut für österreichische Geschichtsforschung, dessen Leitung als Nachfolger von Leo San-tifaller nun Heinrich Fichtenau übernimmt. Auf ihn geht damit die Verantwortung für die wissenschaftliche Ausbildung neuer, junger Generationen von Historikern und dazu die Mitprägung des Geschichtsbildes, des historischen und politischen Bewußtseins der Studenten, die als künftige Mittelschullehrer breite Schichten der österreichischen Jugend erziehen, über. Wer ist der Mann, der diese Schlüsselposition im österreichischen Hochschulwesen errungen hat?

Heinrich Fichtenau wurde am 10. Dezember 1912 in Linz als Sohn eines Amtsrates geboren. Hier besucht er die Volksschule und das Realgymnasium. Die letzten Jahre des alten Reiches und eine katholische Konservativst prägen seine frühe Jugend. Der Name seiner Mutter läßt aufhorchen: Schacher-meyr. Fichtenaus Onkel, Fritz Schachermeyer hat sich als Gräcist

sowohl durch sein profundes Wissen wie durch die Kühnheit seiner Konzeptionen Weltruf erworben.

Im Herbst 1931 beginnt Fichtenau an der Wiener Universität Geschichte und Kunstgeschichte zu studieren: Es sind glänzende Namen und bedeutende Gelehrtenpersönlichkeiten, die da seine Lehrer sind; dazu einige jüngere, vielversprechende Kräfte: Dopsch, Hirsch, Srbik, Schlosser, Loehr, Groß; Brunner und Lorenz. Im Juli 1933 wird Fichtenau als ordentliches Mitglied in das Institut für österreichische Geschichtsforschung aufgenommen, am 1. März 1936 wird er Mitarbeiter der Mo-numenta Germaniae Historica, kurz darauf promoviert er. Im Jahr darauf wird er wissenschaftliche Hilfskraft am Institut. Hans Hirsch, „Vater Hirsch“, bemüht sich als Direktor des Instituts, seine schützenden Hände über alle seine „Söhne“ liier zu halten, die politisch die schärfsten Gegensätze demonstrieren. Wie ein ruhender Pol in der Flucht der Erscheinungen ist da manchem Gast die unentbehrliche „Hilfskraft“ (dann „Assistent“) Heinrich Fichtenau erschienen: nach außen hin eher still, nach innen zäh und unverwirrt an seiner Überzeugung festhaltend, gleichzeitig sehr wach die geistige und politische Situation in Österreich und der Welt wahrnehmend. Mitten im Krieg, 1942, wird er habilitiert, 1945 vermittelt er als Leiter des Historischen Proseminars

den Heimkehrern aus dem Krieg die Grundbegriffe der Geschichtswissenschaft. 1950 wird Fichtenau außerordentlicher Professor der Geschichte des Mittelalters, 1954 korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

In unserer heutigen, raschen, flink nach Erfolgen jagenden Zeit erscheint ein dreißigjähriger Studiengang und Aufstieg, Stufe für Stufe in Jahrzehnten, für junge Menschen fast als sagenhaft. Charakteristisch für Heinrich Fichtenau ist aber eben dies: die starke Kraft, mit der er in widrigen Verhältnissen sich behauptet hat, eine echte konservative Grundhaltung und ein sehr sensibles, hochintellektuelles Organ für neue, zukunftsträchtige Perspektiven.

Wir sind der festen Zuversicht, daß Heinrich Fichtenau es wagen wird, dem Institut für österreichische Geschichtsforschung eine geistige, eine spirituelle Prägung zu geben, in Zusammenarbeit mit seinen bedeutenden Mitarbeitern: als eine Stätte der Erziehung, der Bildung einer vergangenheitsbewußten und zukunftsoffenen wachen historischen Intelligenz in Österreich. Nicht zuletzt als eines wichtigen und unersetzlichen Aktivpostens im Ringen um Österreichs kulturelle Selbstbehauptung in einer Welt, die auf Leistung, Arbeit, Kommunikation sieht und angewiesen ist.

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