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HERMANN GMEINER / SIE NENNEN IHN VATER
Man kann die Sozialfürsorge mit der alten römischen Architektur vergleichen. So wie diese in Unkenntnis der Hydrostatik mit enormen Arbeitsaufwand riesige Aquädukte baute, um Wasser von einer Talseite auf die andere zu leiten, so verschwendete jene große Mühen, weil sie von der Kinderseele keine blasse Ahnung hatte. Sie baute Anstalten und Waisenhäuser, in deren kalter Ordnung die Kinder, die nur das Unglück hatten, kein Heim zu haben, in seltsam halbmilitärischer Zucht aufgezogen wurden. Dem Besucher, mag es ein Inspektor oder ein Verwandter sein, tönte ein eingedrilltes „Grüß Gott, Heber Besuch!“ entgegen. Was Wunder, daß diese liebelos aufgewachsenen Geschöpfe dem späteren Leben oft hilflos, untüchtig, ja mißtrauisch, gegenüberstehen. Die Psychologen reden dann von der fehlenden Nestwärme.
1948 studierte in Innsbruck ein Bauernsohn aus Alberschwende vorm Bregenzer Wald. Er hatte als Leutnant den Krieg kennengelernt und jetzt seine Folgen. Neben dem Medizinstudium griff er die vor den Kinos herumlungernden Kinder auf, faßte sie in eine Gruppe, suchte ihnen wenigstens tagsüber ein Zuhause zu geben, aber abends zerstreuten sie sich wieder. Da sah er, daß es nicht genüge, sie nur zeitweise zu betreuen. Ueberdies müßte schon bei den kleinen Kindern begonnen werden. Da hörte er auch von den Boys Town des Father Flana-gan. Gleiches in Oesterreich zu gründen,schwebte ihm vor. Freilich unterschätzte er den Kahäsionskleister, der die Behörden und Institutionen hier wie anderswo gegen das Neue, Umschaffende verbindet. Kurz gesagt, er blitzte allenthalben ab. Allen Gewalten zum Trotz entstand dann doch das erste Kinderdorf in lmst, weil der Bürgermeister den Baugrund billig gab und den Papierkrieg haßte. Der eingetragene Verein SOS Kinder-dorf, die stärkste nichtpolitische Organisation Oesterreichs, finanziert die Idee. Theoretisch genügte es, wenn jeder Oesterreicher monatlich einen Schilling spendete. Praktisch stehen aber zuviel abseits; es gibt aber wiederum großherzige Einzelspender.
Bald folgten Altmünster, Lienz und Hinterbrühl mit neuen Kinderdörfern. Sie geben den Kindern nicht nur ein Dach. Das könnte die Anstalt auch. Die Kinder finden dort ein paar geliebte Menschen: Brüder, Schwestern, eine Ziehmutter, die mit je acht Kindern ein Kinderdorfhaus bewohnt. Das Experiment ist gelungen, aber der Kampf um jeden Schilling kostet Hermann Gmeiner die ganze Arbeitskraft. Längst mußte er das Studium an den Naget hängen, um fremden Kindern ganz Vater und Beschützer sein zu können.
Kürzlich wurde das „Haus Barbara“ im Kinderdorf HinterbrüUl geweiht. Es hat eine interessante Vorgeschichte. Eine junge Wiener Baronin, Barbara Schmidburg, lernte, während sie als Hosteß im österreichischen Pavillon bei der Weltausstellung in Brüssel arbeitete, den belgischen Grafen Jean-Pierre de Launoit kennen. Aus Anlaß ihrer Hochzeit wollte der Schwiegervater, ein Industrieller, eine größere Summe einer österreichischen Wohlfahrtseinrichtung überweisen. Er fragte die Gräfin und sie schlug das „SOS Kinder-dotf“ vor. Daß es gleich ein ganzes Haus sein würde, hatte sie nicht zu denken gewagt. Und Hermann Gmeiner, dem wir eine der schönsten Ideen der letzten 15 Jahre verdanken, fehlten die Worte, als er davon erfuhr.
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