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Heuer wird alles anders

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Wir sind alle Kinder der einen Bundesbahn. Ich bin dankbar, daß mir die Weichen mmmmmmmmm

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Wir sind alle Kinder der einen Bundesbahn. Ich bin dankbar, daß mir die Weichen mmmmmmmmm

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Kennen Sie schon den neuesten österreichischen Adventbrauch? Unser aller moralisches Vorbild übt ihn überzeugend — und wir machen es der Regierung nach: Wir sparen!

Es muß ja nicht gleich das multifunktionelle Feiergerät mufei sein, mit dem wir den häuslichen Aufwand rationalisieren. Mit mufei ließe sich schon zweckmäßig beginnen. Das patentierte Gerät ist als Allerseelenlicht, Adventkranz und Christbaum nacheinander verwendbar. Dann kann man es total ab-brennen und als Silvester-Feuerwerk verwenden, sich die Asche als Faschingsmaske ins Gesicht schmieren und die unverbrannten Reste auch noch als Osterhasennest nützen. Im Sinne des umweltfreundlichen Kreislaufs der Ressourcen eine optimale Innovation. Über mögliche unerwünschte Nebenwirkungen informieren Gebrauchsanweisung, Arzt oder Apotheker.

Der Dichter, der vom Advent als der stillsten Zeit im Jahr geschwärmt hat, erhielt zwar keinen Staatspreis für Unglaubwürdigkeit der Literatur, aber seine Verdienste um die poetische Ironie sind unbestritten.

Erinnern Sie sich?: Dezember 1993, keuchend unter Einkaufslasten eines sogenannten langen Samstags, schwitzend unter Keks- und Kuchenfabrikation, Federvieh rupfend, Karpfen schuppend, im Verkehrsstau steckend, umgeben von Kinder- und Wunschgeschrei, brennenden Adventkranz löschend, Christbaum aufstellend und schmückend, Krippe bastelnd, zehn Dutzend Weihnachtsgrüße schreibend und absendend, damals also, bitte denken Sie genau zurück, damals hielten Sie kurz vor dem Nervenzusammenbruch plötzlich inne, rangen die Arme zum barmherzigen Adventhimmel und sprachen aus innigster Überzeugung einen Schwur: Nächstes Jahr wird das alles anders! Gott ist Ihr Zeuge, Sie meinten es ernst. Widersagst du dem Konsumteufel? Und allen seinen Werken und Verführungen? Ich widersage!

Dezember 1994. Zu den Sündei? des Advents gesellen sich die Eidbrüche. Denn nicht nur Sie, Tausende Haufrauen und Hausmänner haben voriges Jahr im Advent dem Trubel abgeschworen. Doch der Versucher naht.

Wer ist gefeit gegen Lebkuchen- duft, der verführerisch aus des Nachbars Küche herüberzieh? Also Lebkuchen, mindestens Lebkuchen muß auch heuer sein. Ein paar Keks sollten doch auch. Und so ganz ohne Kuchen? Vergessen sind die Schwüre, hingeschmolzen der Widerstand, es geschieht ja doch aus Liebe. So sanft fängt es an, so versetzt Sie die Liebe in Rotation. 0 wie köstlich duftet das ganze Haus!

Nächstes Jahr wird alles anders! Mit einschmeichelndem Vorwurf die Stimme des Gatten, der Gattin: Ob man es sich denn überhaupt leisten könne, die Tante X, die doch übers Jahr so lieb und hilfsbereit gewesen, ganz ohne Geschenk zu lassen?

Nein, das könne man sich nicht leisten. Aufbruch also. Man muß kein Jurist sein, um in solchen Situationen zu erkennen, was Präjudizien sind. Oder zu verstehen, was man unter „ausgewogenen Verhältnissen“ meint. Bepackt mit Geschenken für sämtliche näheren und ferneren Familienmitglieder ereignet sich eine strapaziöse Heimkehr. Zweifel und Diskussionen darüber, ob das nun alles so recht und treffend sei, liegen in der Luft. Die stillste Zeit im Jahr. Und nächstes Jahr wird das alles anders! Einpacken und beschriften, todmüde um Mitternacht ins Bett sinken. Der Konsum hat gesiegt.

Die Fallstudie ließe sich beliebig fortsetzen, aber es bedarf keiner Phantasie, um den Ausgang vorherzusehen. Irgendwann, mittendrin in diesem Advent, in dem Sie sich fragen, ob der Kranz vielleicht ein Symbol für die Rotation der Vorbereitungen ist, ringen Sie wieder die Hände.

Bitte schwören Sie nicht mehr! Seufzen Sie, atmen Sie tief durch, bitten Sie um Geduld. Ich sage Ihnen: Gar nichts wird nächstes Jahr anders. Weihnachten und der Adventtrubel, das ist wie die Große Koalition, wohl oder übel, zu trist wäre die Alternative.

Einmal, die Älteren erinnern sich, da war es wirklich anders, im letzten Krieg. Wer daran denkt, der gewinnt Trost. Gelobt sei er nicht, der Konsum, aber wenigstens gedankt.

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