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Ich komme...!

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Montagmorgen Alles ist grau und düster, der Himmel, die Menschen, die Straßen. Die klaffenden Häuserruinen sehen noch unheimlicher aus als sonst und die Schutthaufen sind große drohende Klumpen, die wie böse Tiere in der Dunkelheit lauern. Die Gesichter der Menschen sind fahl und wächsern im dämmernden Zwielicht des sich nur langsam und widerwillig gebärenden Nachkriegstages. Ab und zu treibt der eisige Wind kalten Regen vor sich her und die Menschen schieben ihre Hände noch tiefer in ihre abgetragenen Mäntel. Mit einer schweigenden, verbissenen Hast kommen und gehen die Menschen, drängen sich in den überfüllten Wagen.

Ich stehe in einer Ecke und meine Augen wandern von einem Gesicht zum anderen. Uberall finde ich den gleichen Zug um die schmalen Lippen eingegraben, von der Schwere der Zeit und des Erlebens einer jüngsten Vergangenheit. In' vielen Augen spiegelt sich ein seltsame stumpfe, ergebene Gleichgültigkeit an das Schicksal, andere scheinen ausgehöhlt von den vielen bitteren Tränen eines langen schreckenvollen Krieges.

Da bleibt mein Blick an dem Gesicht einer jungen Frau haften, die schmal und blaß auf einer Bank sitzt. Den Kopf leicht geneigt, die Hände im Schoß verschränkt, sitzt sie so ruhig, als wäre jedes Leben in ihr erloschen. Aber ihr Mund und ihre großen Augen leben. Sie leuchten in einem so innigen, beglückenden Lächeln, das nur eine große, tiefe und reine Freude der Seele auf die Gesichter der Menschen bannt, sie über alles hinweghebt, in eine Welt, in der sie das Überirdische erahnen.

Während ich ihr Gesicht betrachte, scheint sich dieses Lächeln immer mehr und mehr zu vertiefen. Dieses Lächeln, das so viel von dem erschütternden Lächeln einer Mutter in sich birgt, die sich das erstemal über ihr neugeborenes Kind beugt und so viel in sich trägt von dem seligen Lächeln einer liebenden Frau, die zum erstenmal dem Geliebten sagt, daß sie ihn liebt.

Menschen kommen und sehen. Das Gelränge Verdichter sich und ich werde aus meiner Ecke reschoben und stehe neben der noch immer selis lächelnden Frau. Tch sehe -luf ihre HännV und bemerke erst jetzt, daß sie ein Stück Papier hält. Es ist ein Telegrammformular vom Roten Kreuz und ich kann den kurzen Inhalt lesen. ..TComme in einigen Tagen. Dein Franzi.“

Nun weiß ich es zu deuten, dieses Lächeln, das einzig und allein aus den Worten geboren wird: Ich komme! Was bedeuten diese Worte nicht alles für eine Frau! Ende einer qualvollen Einsamkeit, in der sie alles allein tragen mußte. Alles! Die ganze schwere Last ihres jungen Lebens, das einzig und allein aus Verzicht bestand. Die tausend Ängste, Entbehrungen, flammen-durchlohter, von Bomben und Granaten durchbrauster Tage und Nächte, in denen der Tod mit kalten dürren Händen tausende Menschen in der Riesenstadt zerquetschte. Wer war an ihrer Seite, als sie in dichten Rauchschwaden ihrem Heim zulief und nichts mehr von all dem fand, an dem ihr Herz so sehr hing, als ein paar verglimmende Trümmer? Und dann in all den Monaten nachher, als der infernale Lärm des Krieges verstummte und der stille, aber ebenso harte und bittere Kampf um das nackte Dasein begann? Wenn sie in langen schlaflosen Nächten seines Lebens Seins erwog und die Ungewißheit seines Schicksals, die Sorge um ihn sie zu ersticken und auszulöschen drohte? Als sie, im festen Glauben an seine Rückkehr, trotz allen Schwierigkeiten anfing, ein neues Heim zu gründen und Stück für Stück zusammentrug, Stück für Stück, mit einem unbeugsamen Glauben an das Leben und die Zukunft, um ihm die verlorene Heimat wieder zu schenken.

Ich würde mich gerne über ihre zarten, verarbeiteten Hände beugen, um sie ehrfurchtsvoll zu küssen, ihr sagen, wie sehr ich mich mit ihr freue über ihr großes Glück und wie stolz wir alle sind, zu wissen, daß unser Volk solche Frauen besitzt.

Bei der nächsten Station steigt sie mit vielen anderen aus, die der großen Fabrik zustreben, die sich hier in der Nähe befindet. Sie geht ruhig und still wie immer zwischen den Menschen. Nur ihr. lächeln, das bleibt auf ihrem Gesicht. Bald wird sie an einer Maschine stehen und ihre gewohnte Arbeit verrichten, nur daß die Maschinen heute alle summen werden: Er kommt!...

Während ich ihr nachblicke, ist alles nicht mehr so grau; die Straßen, die Ruineic, und selbst die Gesichter der Menschen scheinen alle einen Abglanz dieses Lächelns zu tragen, in dem alles liegt: Unser Sein, unsere Heimat, unsere Zukunft!

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