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Im Schlunde des Wals

19451960198020002020

JONAS. Dichtungen von Jean-Paul de Dadelsen, übertragen von Oswald von Nostit . Im Verlag Jakob Hegner, Köln, 120 Seiten. DM 14.80.

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JONAS. Dichtungen von Jean-Paul de Dadelsen, übertragen von Oswald von Nostit . Im Verlag Jakob Hegner, Köln, 120 Seiten. DM 14.80.

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Dieses Werk, dem in Grundzügen ein 1962 bei Gallimard in Paris erschienenes Original entspricht, ist ein Ereignis auf dem deutschen Buchmarkt. Ein Ereignis vor allem auf dem abwechselnd mit Hausbacksteinen und mystischem Mosaik gepflasterten lyrischen Buchmarktplatz, der vom geistigen Verkehr zusehend gemieden wird.

Die Gründe, ein solches Engagement für einen neuen Lyriker in den persönlichen Daten mitzuflxie- ren, sind verlockend, aber gefährlich. Dadelsen soll gebürtiger Elsässer mit französischer Erziehung und antideutschem Staatsbewußtsein, ein Diplomat, Pädagoge und Journalist, ein Freund Albert Camus’, ein kritisch-christlicher Humanist und zu seinen Lebzeiten fast ein „heimlicher“ Dichter gewesen sein. Er starb im Alter von 43 Jahren 1957 in Zürich. „Ich fühle mich nicht für die literarische Laufbahn bestimmt. Man muß leben, als wenn man nichts zu schreiben beabsichtigte.“ So steht es in einem seiner Briefe. Wenige exquisite Freunde umgaben ihn; vorab Max Rychner, der das informative Vorwort schrieb. Leben und Lyrik sind nicht zu trennen. Aber man erinnere sich des Amtsrates Pseudo- Forestier, der zu seiner Lyrik auch gleich ein Legionärsleben dichtete — und man wird verstehen, daß nur ein konsequentes, wenn .vielleicht, auch

Wendung zum Wortwerk eine so hohe Meinung rechtfertigen können.

Jean-Paul de Dadelsen hat das Gedicht in Prosa auf eine neue Höhe gebracht. Inhaltlich zunächst, weil er von der Egozentrik loskommt, von der verdunkelten Selbstbeschau und der ästhetischen Klage. Nicht so, als wäre das Ich nicht auch bei ihm Bezugspunkt. Dadelsen hat diesen Bezugs- und Ausgangspunkt jedoch versteckt, versenkt, in das Jonas- Bild gebannt. In der vom Schöpfer beschlossenen, innerlich bewältigten Gefangenschaft auf Zeit reift das Prophetentum, im Schlunde des Wals vollzieht sich Gemeinschaft. Gefahr und Geborgenheit decken sich.

Es ist ganz ausgeschlossen, einer solchen Perspektive die Tradition

abzusprechen. Tradiert wird ja hier nicht nur das Alte Testament und die Geisteswelt der Bibel, tradiert wird auch ein ganzer Zweig der Literatur, einer der gewichtigsten im modernen christlich-existentiellen Raum, von Claudel bis Andres, von der le Fort bis zu Ernst Wiechert. Das musikalische Element, von Bach und Beethoven, die Dadelsen besonders liebte, ist vom Bibeltum des Protestantismus mitbeeinflußt. Neuheit liegt hier nur in der Schau, in der alle diese Einflüsse zusammengenommen und verarbeitet und zu einer weltbürgerlichen Geistigkeit gesteigert werden. In das formale Psalmodieren, das Spiel mit Assoziationen, in die auch in der Übertragung von Oswald von Nostiz ausgezeichnet erhaltene Zeilenmelodie mit ihren Stufen und Schleifen dringt manchmal der Klang St.-John-Per- ses und Ezra Pounds. Das sind Anklänge und innere Grenzen, zwischen denen sich die Strophen rhapsodisch frei erheben, zum Lob- und auch zum Spottgesang. Denn auch die Ironie hat ihren Platz. Sie und eine umgreifende, nicht zersetzende Sinnlichkeit geben Dadelsens Werk die lebendige Unmittelbarkeit, sie vermitteln das Gefühl direkten Angesprochenseins. Die ganzheitliche Schau, die noch aus letzter Not aufleuchtende Freude an der Schöpfung, der Jubel in Todesnähe machen die Dichtung barock.

Patrioten in Deutschland werden an manchen Stellen keinen Geschmack Anden. Ob die Wunden so vernarbt sind, daß gerade dieser verhaltene, entlarvende Sarkasmus sie nicht schmerzlich reizt, sei bezweifelt. Dem Österreicher, dem diese Differenzen nicht nahegehen, ist der Zugang zu Dadelsens Werk darum vielleicht leichter und offener und in der ganzen Komposition nach dem Herzen. Eine moderne Dichtung, die das Gemüt anspricht, mag verdächtig sein. Sie ist trotzdem und deswegen groß.

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