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Judentum in Osteuropa nach dem Holocaust

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Wo „Schindlers Liste" endet, begann die Fotoausstellung von Edward Serotta „Jüdisches Leben im Osten Europas nach dem Holocaust" in der Wiener Friesgasse.

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Wo „Schindlers Liste" endet, begann die Fotoausstellung von Edward Serotta „Jüdisches Leben im Osten Europas nach dem Holocaust" in der Wiener Friesgasse.

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Die Friedensleiste wächst - sie ist gewachsen von oben nach unten: ein Wort hat Wurzeln geschlagen im Stiegenhaus unserer Schule: Friede - Schalom - Beke -Mir ~ Mir ~ Pax - Paix - Peace -Paz - Pace - Vrede.

Wochenlang haben die sechsten Klassen Wörter gesammelt, Schablonen geschnitten, gepinselt, gemischt, getupft, gemalt. Die Friedensleiste ist gewachsen vom vierten Stock hinunter in die Eingangshalle, und immer deuthcher haben wir gesehen, daß Wirklichkeit wird, was wir gemeinsam gewagt haben vor einigen Wochen. Die Friesgasse, eine katholische Privatschule im 15. Wiener Gemeindebezirk, hat eine aufregende Zeit hinter sich.

Am Anfang stand die Frage des Österreichischen Kultur-Service: „Es gibt eine Wanderausstellung von Edward Serotta. Wollt Ihr sie betreuen?" Edward Serotta ist ein international anerkannter Fotojournalist, der in den achtziger Jahren in verschiedenen Ländern fotografiert und in berührenden Bildern dokumentiert hat, daß jüdisches Leben nach Konzentrationslager und Kommunismus wieder zu wachsen beginnt im Osten Europas.

Edward Serotta hat kostbare Bilder. Wir haben ein helles Stiegenhaus und einen freien Gang im vierten Stock.

VIEL GELERNT IN DIESER ZEIT

Das ist nicht sehr viel für eine Ausstellung. Aber wir sind eine Schulgemeinschaft mit Phantasie und Einsatzbereitschaft und vielen Menschen, die mitdenken, mithelfen, improvisieren - und begeistert sind von dem Projekt, das in besonderer Weise dem Erziehungsauftrag der Schulschwestern entspricht.

So haben wir uns im Herbst schon auf den Weg gemacht, haben versucht, uns inhaltlich, in den verschiedenen Fächern, aber auch im Schulalltag selbst dem Thema „Jüdisches Leben" zu nähern. Brücken zu bauen zu anderen Völkern und Kulturen, zu unserer Geschichte, unserem geistigen Erbe, das so reich beschenkt ist durch das Denken und Schaffen bedeutender Männer und Frauen jüdischer Herkunft, zu unserer Vergangenheit, die so verwundet ist von dem Verbrechen, das gerade an ihnen begangen worden ist.

Wir haben viel gelernt in diesen Wochen - miteinander, voneinander. Die Friedensleiste ist gewachsen. Von Anfang an war es klar: es darf nicht nur äußere Aktion sein, das Projekt braucht eine geistige Mitte. Hingeführt hat uns zu dieser Mitte das Wort „Schalom", das Wissen, daß uns Menschen nichts mehr miteinander verbindet als die Sehnsucht nach Frieden und daß wir selbst die Feinde des Friedens sind. Täglich müssen wir ringen um diesen Frieden, der uns letzthch doch nur geschenkt werden kann.

Es hat viel Bewegung gegeben in der Schule: bedeutende Begegnungen, erschütternde Erfahrungen, ernste Auseinandersetzungen und fröhliches Feiern. Große Persönhch-keiten haben uns besucht, uns unterstützt. Aber auch die alten Leute von nebenan sind gekommen und haben erzählt, wie sie selbst noch den Brand der Synagoge erlebt haben, . hier um die Ecke.

NUN SALZBURG UND MÜNCHEN

Und die Friedensleiste ist fertig geworden - als graphisches Band, das die Dokumentation der einzelnen Projektbeiträge - von einer Beschreibung der jüdischen Feste, den Darstellungen literarischer Themen und der Berichte über Judenverfolgung bis zu Beiträgen aus der Lokalgeschichte, aus der Naturwissenschaft und der Kunst - miteinander verbindet und schließlich hinführt zu den Bildern, die das Schwarz-Weiß des jüdischen Lebens, seinen Alltag, seine Feste, seine Gesichter, in die Geschichte geprägt ist, vermitteln.

Die sechsten Klassen haben eine Friedensleiste gemalt, die ersten Klassen haben für uns die Friedens-kärtchen geschrieben: „Ich will lernen, jeden Menschen zu achten, mich für Gerechtigkeit einzusetzen und auf Gewalt zu verzichten." Und täglich in der 12-Uhr-Pause haben sich einige Kinder in der Schulkapelle zum Friedensgebet versammelt. Das Konzert, die Lesung, die Chansons aus Theresienstadt, Lichterkette und Mahnwache - wer kann sagen, was mehr bewegt und bewirkt hat?

Wenn auch die Bilder abmontiert wurden (bis 11. Mai sind sie in Salzburg, im Gymnasium Zaunergasse, und dann in München zu sehen) die Friedensleiste im Stiegenhaus bleibt und schlägt, hoffentlich, als Osterwort Wurzeln in unseren Herzen. Oder bezweifeln Sie, daß man Frieden „lernen" kann? Sicher, im Schulalltag können die Zweifel wuchern. Aber wer hätte das Recht und die Kraft zu erziehen, wenn er nicht hoffen und glauben vrärde? Schalom!

Die Autorin ist üireklorin der Privatschiile

Friesgasse der Schulschwestem

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