6749619-1967_22_08.jpg
Digital In Arbeit

Kampf mit dem Minotaurus

19451960198020002020

Francoise Gilot / Carlton Lake: „LEBEN MIT PICASSO“ Verlag, München, 362 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen. Donauland, Wien,

19451960198020002020

Francoise Gilot / Carlton Lake: „LEBEN MIT PICASSO“ Verlag, München, 362 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen. Donauland, Wien,

Werbung
Werbung
Werbung

Liest man dieses Buch, dem der Skandal vorausging, daß Picasso sein Erscheinen mit allen Mitteln zu verhindern versuchte, zum zweitenmal, so verstärkt sich der zwiespältige Eindruck der ersten Lektüre zu einem Gefühl der Malaise, ja der Trauer. Es war bekannt, daß Francoise Gilot, die als junge angehende Malerin den damals 62jährigen Picasso 1943 in Paris kennenlernte,zehn Jahre lang sein Leben teilte und ihm zwei Kinder gebar, Picasso wieder verließ, um ihre eigenen Wege zu gehen. Vor diesem Zeitpunkt war sie seine Geliebte, seine Schülerin und sein Modell. Ihr Bild lebt in zahllosen Zeichnungen, Bildern, Lithographien, Keramiken und Plastiken weiter, hat einer ganzen Periode seines Lebens das Gepräge gegeben, so wie vorher seine, erste Frau Olga Khoklova, wie Marie-Therese-Walter, Dora Maar und seine erste Geliebte Fernande Olivier übermächtige Inspirationen auf dem Wege des größten Genies waren, das das zwanzigste Jahrhundert auf dem Gebiete der bildenden Kunst hervorgebracht hat.

Würde man dem Bericht, den uns Francoise Gilot und ihr sehr fragwürdiger amerikanischer „ghost writer“ hier vorlegen, unkritisch trauen, dann war einer ihrer Gründe, die zum Bruch mit Picasso führten, eben jene Vergangenheit, die übermächtig immer wieder in Erscheinung trat, sich in Schikanen und Verfolgungen ihrer „Vorgängerinnen“ ebenso auswirkte wlie in den geheimnisvollen Sammlungen in den verlassenen Wohnungen, in denen Picasso in eigenartiger Treue zu seiner Vergangenheit selbst die kleinsten auf sie bezüglichen Dinge aufzubewahren pflegt. Hat Francoise schon diese gar nicht so abwegige Haltung nicht verstanden, die das tiefe Gefühl der dauernden Bezüglichkeit des Gewordenen zum Gewesenen voraussetzt, so ist auch ihre zweite Begründung ihrer Trennung — die Angst vor dem Verlust des eigenen Ichs unter dem Druck seiner übermächtigen und eigenwilligen Persönlichkeit — nicht überzeugend.

Lang und breit schildert sie die Schwierigkeiten, die sie im Haushalt Picassos erdulden mußte, nachdem sie den mutigen Entschluß, sich von ihrer Familie zu trennen, ja verstoßen zu lassen, auf sich genommen hatte, den Klatsch, die Reibereien und Demütigungen, die sie erlebte. Nach ihrem Bericht muß das Leben mit diesem Genie eine Art Hölle gewesen sein, da bei ihr manche Züge Picassos befremdend, ja sogar abstoßend und brutal sind. Man staunt über seine kleinlichen Versuche der Selbstbestätigung und Selbstbehauptung, die Beweise der Bosheit und Böswilligkeit, die sie uns liefert, und wird doch nicht den Eindruck los, daß sie — begabt mit dem Gedächtnis eines Elefanten und seiner Rachsucht —, über diese Einzelelemente hinaus seine große Persönlichkeit nie in ihrer Gesamtheit erfaßt hat, daß ihr der Blick für deren Bedingungen, das tiefe Verständnis fehlt. Und hier wird man von Trauer erfaßt. Von Trauer darüber, daß Francoise Gilot nicht die Einsamkeit dieses Genies begriffen hat, eine Einsamkeit, die die Grundbedingung seines Werkes darstellt, das mit einem ungeheuren Mut sondergleichen in Neuland vorgedrungen ist, eines Werkes, dessen erstes Opfer Picasso selbst darstellt und für das er auch ihr Opfer verlangte. Doch dazu war sie zu schwach, da sie ihn anscheinend in Wahrheit nie liebte.

Vergleicht man die kühle Berechnung, mit der sie sich entschließt, das Leben mit ihm zu teilen, mit der Zartheit und kühnen Unbedmgtheit seiner Werbung, ihre kleinbürgerlichen Überlegungen, mit der alles gebenden, aber natürlich auch alles fordernden Gewalt seiner Leidenschaft, dann weiß man mir zu genau, wer der wahrhaft Liebende war.

Picasso hat sich oft in der Maske des Minotaurus — dem bekanntlich auch Jungfrauen geopfert wurden — dargestellt. Hinter dieser Maske wohnt aber ein leidender und überaus sensitiver Mensch, der nicht nur unter dem Schicksal leidet, dem Zwang seiner Kunst das erste unverstandene Opfer zu sein. Diesen einsamen Menschen hat Francoise Gilot nie begriffen. Sie hat sich aus dem Labyrinth des Minotaurus gerettet. Gerettet in eine neue kleinbürgerliche Illusion eines Lebens als Künstlerin — zu der ihr die Berufung fehlt —, nachdem ihre erste kleinbürgerliche Illusion über das Leben mit einem Genie an den eisigen Höhen absoluter Forderungen gescheitert war.

Wie sehr in dieser menschlich enttäuschenden und im negativen Sinn faszinierenden Darstellung der Künstler Picasso und das „Monstrum“ Picasso als Mensch scheinbar auseinanderklaffen, macht die unübersehbare Schwäche des Buches aus. In den Aussprüchen des Künstlers Picasso aber erhebt es sich wider Willen seiner Autorin zu einem Dokument erster Größe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung