6690829-1962_37_10.jpg
Digital In Arbeit

KEINE ANGST VOR KUNSTGENÜSSEN

Werbung
Werbung
Werbung

Bei Durchsicht meiner Post entdeckte ich noch gerade rechtzeitig eine Einladung zu einer Ausstellungseröffnung. Die Einladung war in wirrer Buchstabenkombination gedruckt, und mitten im Text prangt ein mit Sorgfalt angebrachter Tintenklecks. Die Namen der ausstellenden Künstler fingen selbstverständlich mit Kleinbuchstaben an, und alle K waren als C geschrieben und umgekehrt. So fand ich beispielsweise einen Carl und einen Curd, aber auch zwei Kristinas und einen Kornelius.

Vor dem Ausstellungsgebäude stand ein Bartmensch, der das Vorweisen meiner Karte mit einem unbekümmerten „Ach, lassen Sie nur“, quittierte. „Es ist sowieso alles Mist“, fügte er erläuternd hinzu, „aber wenigstens ist es ehrlich, sehen Sie, und das läßt sich von dem übrigen Krempel nicht behaupten.“ Nach dieser eigenständigen Äußerung ging er mir in einen dämmrigen Raum voraus, wo dlie Aussagen der Gruppe „Die Verirrten“ hingen. Soweit ich in der Fülle etwas sehen konnte, bestanden die Arbeiten vorwiegend aus eingerahmten Autoreifen, Zahmädern, Felgen und anderem Kraftfahrzeugzubehör, aber es gab auch Meister, die sich auf Abfall verlegt hatten. So beeindruckte mich eine forsche Komposition von Kornelius Cucuc, der eine Fläche von zwei zu .drei. Metern ausschließlich für Schälen reserviert hatte, In1 tiefen* Witte ein? FahWadklingel angebracht war. Dieser Kornelius stand noch arbeiten* auf einer Staffelei, denn durch den Transport war die Fahrradklingel verschoben worden, und in dieser Form „glaubte er nicht mehr daran“, wie er sich selbst ausdrückte

Es ist immer interessant, einen Künstler bei der Arbeit zu beobachten. Was Kornelius machte, war übrigens sehr einfach; er verschob die Klingel einen Millimeter nach links, stieg darauf von der Staffelei herunter und blieb mit geneigtem Kopf vor seiner Schöpfung stehen. Und siehe da, jetzt glaubte er wieder daran. Ein anderer Künstler, der die ganze Zeit über kauend auf dem Boden gesessen hatte, schien jedoch weniger überzeugt zu sein: „Nein, Kornelius“, sagte er, „es ist nicht mehr drin. Es war, wenn du mich fragst, noch nie drin. Aber jetzt ist es überhaupt nicht mehr drin.“ Ich sah Kornelius ein paar Schritte zurücktreten und das linke Auge zukneifen. „Nein, Kornelius“, sagte der Mann am Boden gelassen, „du hast daran rumgepfuscht, und jetzt ist es futsch.“ Es entwickelte sich ein Gedankenaustausch, aber der Mann am Boden blieb unbestechlich. „Nein, Kornelius“, sagte er immer wieder, „irgendwie sagt es mir auf einmal nichts mehr.“

Kornelius war übrigens nicht der einzige, der sich noch mitten in den Wehen seiner Schöpfung befand. Verschiedene Meister standen auf Staffeleien und wurstelten an ihren Produkten herum. Vor allem ein bleicher Jüngling beeindruckte mich, der eine Komposition aus Bierflaschen und Scharnieren verfertigt hatte. Auf jede Bierflasche folgten drei Scharniere, aber es gab auch Momente auf der Leinwand, in denen es nur zwei Scharniere gegen drei oder sogar vier Flaschen aufnahmen. Curd. so hieß dieser Jüngling, hatte instinktiv erfaßt, daß derartige Wagnisse sich nicht zu häufig wiederholen durften; deshalb hatte er sich nur auf zwei solcher Ausnahmen beschränkt. Aber jetzt waren ihm Zweifel gekommen. „Ich finde es zu zahm“, sagte er plötzlich. „Aber das bist doch du auch“, sagte der Mann am Boden, der die Anwesenden gut zu kennen schien. Nun sah der Künstler in der Tat nicht sehr unternehmend aus. Mangel an Kinn hatte er durch einen Bart zu vertuschen gesucht, aber die Natur, die ihre eigenen Wege geht, war ihm nicht weiter entgegengekommen; als daß sie ihn unrasiert aussehen ließ. „Du mußt dich selbst ausdrücken“, sagte der Mann am Boden, „und du bist nicht viel, das weißt du doch. Aber irgendwie“, schloß er ermutigend, „irgendwie sagt es mir etwas.“

Schwierig hatte es ein gewisser Kris Criall, der vermutlich Knall hieß. Dieser Cnall nämlich hatte ein Oeuvre geschaffen, das in der Hauptsache aus Tomaten, garniert mit Radspeichen, bestand. Die Speichen waren frisch geblieben, aber das Gemüse war geschrumpft und hatte — und nun habe ich das Vergnügen, den Meister selbst zitieren zu können — seinen ursprünglichen Farbwert verloren. Das Anbringen neuen Gemüses, von einem vorbeikommenden Kellner edelmütig offeriert, hatte Kris abgelehnt. Das Problem war auch nicht, daß die neue Farbe ihm mißfiel, im Gegenteil, diese wurde als „sensibles Rot“ sogar geschätzt.-Aber der Titel paßte nicht mehr. Er hatte gelautet: „Vierte Dimension.“ Darin pflichteten die Umstehenden ihm bei — das ging nicht mehr. Ein Jüngling, der zur Abwechslung mit den Händen in der Hosentasche an der Wand lehnte, schlug vor: „Tritt's doch zusammen, Mensch“, und dieser Rat schien Kris zu gefallen. Unter seinen Absätzen verwandelte sich das Werk in einen formlosen Brei, und zur Überraschung aller Anwesenden schien es an Farbwerten beträchtlich gewonnen zu haben. Es war sogar, wie ein Mann in gestreiftem Pullover sich ausdrückte, gefühlvoller geworden. Es erforderte allerdings eine andere Beleuchtung, aber auch dafür war bald gesorgt, indem es mit Dirc Cnolls „Raumfahrt“ ausgewechselt wurde. Sogar Cnoll, der anfänglich von dem Tausch nicht sonderlich erbaut war, mußte zugeben, daß es ihm irgendwie etwas sagte.

Die Ausstellung ist bis September geöffnet. Ich darf noch hinzufügen, daß die Regierung fünf Werke angekauft hat und acht „Verwirrten“ einen Studienaufenthalt finanzierte. Sie sitzen jetzt in Ibiza, und irgendwie sagt ihnen das etwas.

(Autorisierte Übertragung aus dorn Holländischen von M. E. Baumer-Tierfelder.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung