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König und Dorfrichter

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Die Friesacher Spielgemeinschaft, die unter der Leitung des Architekten Hannes Sandler die „Burghofspiele” auf dem Petersberg mit heißem Atem und opferbereitem Wollen erfüllt und am Leben hält, hat die beiden Premieren „Summa cum laude” hinter sich. Die Mühe vieler Monate hat sich im Erfolg durch Applaus “bezahlt gemacht, die kleine Stadt in Kärnten, deren kulturelles Wirken tief ins Steirische strahlt und zugleich in steigendem Maße die Fremden anzieht, darf mit Genugtuung auf die beiden Samstagabende zurückblicken, die Shakespeare und (zum ersten Mal auch) Kleist gehörten. Getreu der eingegangenen Verpflichtung, den Gästen aus Stadt und Land, den „Studierten” wie den einfachen Leuten aus Fabrik und Bauernhof die Klassiker ztr verhiitteln, hat Sandler nach dem „König Leäit”- gegriffen und dieses Dräma eines gebrochen Vaterherzens und der parallellaufenden Gloster-Handlung den Friesachern und ihren getreuen Anhängern in der Bühnenfassung von C. Siemens zu eigen gemacht, die zwar des Dichters Wort so mancher Metapher beraubt, die aber der Freilichtbühne die ihr zukommende geraffte Form gibt. Und weil in den Szenen der nächtlich überstürmten Heide Karl Kraus mit seiner Nachdichtung 25 Jahre nach seinem Tode zugegen ist, kann man gutheißen, was leichterem Verständnis gemäß erscheint. Sandler, immer schon sein eigener Planer, Bildner, Regisseur und Akteur, hat sich eine Szene geschaffen — sie läßt sich durch Wände- und Fenstereinbau, durch Bettnische und Möbel dem anderen Spiel anpassen —, die den Ruinencharakter mit wuchtigem Gemäuer, ragenden Pfeilern und düsterer Torwölbung den Bühnenabschluß gibt und sogar — das Mitgeben der Publikumsphantasie voraussetzend — Heideeinsamkeit zu sein vermag. Auf solchem Schauplatz entfaltete die Tragödie um Lear ihre Grauen. S an d- 1 e r spielte ihn und ließ mit jedem Augenblick erkennen, wie er der Rolle gerecht werden konnte: groß in seiner ahnungslosen Freigebigkeit, iäh im Zorn und überraschend eindringlich im Aufflackem des Wahns und im Absturz in einen fast skurrilen Irrsinn: daß ihm die Klage um Cordelia und rührendes Sterben gerieten, rundet die Leistung ab. Mit Heidrun Aicher (Cordelia). Burgi Claura (Goneril). Hilde Pagitz (Regan). Karl Benesch (Glöster), Heinz Köpol (Kent), Robert Mößhcher (Edmund), V. Pagitz (Albanien) und Heinz Neunteufel (Narr) stand ein snielsicheres Team zur Verfügung, das den Anforderungen des Publikums wie der Kritik restlos Genüge tat.

Der Tragödie folgte das Komödienspiel um den „Zerbrochenen Krug”, und wiewohl Kleists Sprache manches an Schwierigkeit zu bieten hat, gab es auch hier vollen Zusammenklang und eine saubere Auslegung im Bereich der einzelnen Rollen. Pausenlos — es ist ja auch ein Einakter, den sich der Dichter ersann — und somit ohne Herausreißen aus rasch gewonnener heiterer Stimmung wurde der Streitfall der Marthe Rull gegen einen kurzerhand angenommenen „Zerbrechet” verhandelt und die Szene zum Tribunal gemacht, vor dem der Richter in fremder Causa die eigene vertritt. Das aber tat Hannes Sandler als Adam mit erfreulichem Behagen und in einer Darlegung, die scharf konturierte Schatten und Licht setzte und den Schelm und tartüffverwandten Judex gültig Ins Rampenlicht treten ließ. Nichts ging an Witz und herzhaftem Spaß verloren, der der Spiellaune voll war, und so „kam an”, was mit dem Spiel um zer-

scherbte Keramik geboten wurde. Marthe Rull, zungengewaltig als Streithansi von Lydia Zitter gespielt, Gerichtsrat Walter in lässiger Vornehmheit und überlegener Ruhe von Robert Mößlacher geboten, Licht von Heinz Köppl gelungen ins Intrigantenhafte transponiert — um nur diese zu erwähnen —, dienten wie alle anderen hervorragend dem Stück, das der ausgezeichnete Josef Schuhmeyer als „lustige Person”recht artig mit Prolog und Epilog einklammerte. Norbert Artners Musik hatte beiden Abenden Atmosphäre gegeben, Gerhard Lampersberg dem Lear bezeichnende „Klangfiguren” gesetzt, und weil auch der gestirnte Himmel mittat und zur Tonkulisse von Hahnenschrei und Hundelaut auch eine ferne Lokomotive ihren Dampf dazugab, entstand jene für Friesach so typische Stimmung aus Bühnenillusion und Wirklichkeit. Blumen, Gaben, „Lichtvorhänge” bestätigten den Erfolg, der auch dem zwölften Spieljahr treu blieb.

Georg Drozdowski

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