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SIE SPIELEN AUS LEIDENSCHAFT

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Im Jahr 1949, als man sich an allen Bühnen des deutschen -l Sprachraumes anschickte, den Geburtstag seines größten Dichters, Johann Wolfgang von Goethe, festlich zu begehen, in jenem Goethe-Jahr kamen in Friesach ein paar Dutzend kunstliebender Bürger dieser ältesten Stadt Kärntens zusammen, um eine bescheidene Goethe-Feier zu veranstalten. Initiator war ein Friesacher Architekt namens Hannes Sandler. Ein Jahr zuvor schon hatte er Gleichgesinnte um sich versammelt. Später wurden die Möglichkeiten erwogen, in Friesach Theater zu spielen, und schließlich erhielt man 1949 entscheidenden Ansporn durch den in zahlreichen Aufführungen vor ausverkauftem Saal — damals spielte man noch nicht auf dem Petersberg — fürs erste wo man in der malerisch über der Stadt gelegenen Burgruine die Friesacher Burghofspiele mit Schillers „Wallenstein“ aus der Taufe hob. Inzwischen hat es durch 13 Jahre in Friesach Premieren von Tragödien und Komödien der großen Klassiker gegeben, hat sich mit dem Volksschauspiel im besten Sinn ein spezifisch österreichisches Element durchgesetzt, und inzwischen haben sich Anerkennung und Erfolge, haben sich auch Schwierigkeiten und Probleme eingestellt, und hat im Auf und Ab der Jahre die Idee der Friesacher Burghofspiele feste Wurzeln geschlagen, die allein ihren Sinn rechtfertigen. Am 29. Juni 1963 aber, eineinhalb Jahrzehnte nach dem geglückten „Vorspiel“ mit dem Urfaust, trat spiritus rector Hannes Sandler mit seiner Laienspielgemeinschaft zur Probe der höchsten Bewährung vor sein Publikum: Goethes „Faust“, erster und zweiter Teil an einem Abend, eine alte Lieblingsidee Sandlers, soll die Kontinuität im Werden, die großen Kräfte echter Gemeinschaft und den inneren Wert der Idee von den Friesacher Burghofspielen dokumentieren.

Sitzt man dem Innenarchitekten Hannes Sandler in seinem mit Gediegenheit und Geschmack ausgestatteten Wohnzimmer am Friesacher Hauptplatz gegenüber, so fixiert außer dem beherrschenden Bücherschrank eine kleine Arbeitsecke den Blick. Sie besteht aus einem Schreibtisch und darüber, die Wand fast bis an die Decke ausfüllend, Bilddokumente aus 13 Jahren Friesacher Theaterarbeit: sinnbildliches Inventar für eine glückliche Polarität von Beruf und zweitem Ich, hier die eigentliche Berufung. Denn der da erzählt, ist durchpulst von einer Theaterleidenschaft, die mitreißt und die wohl der primäre Faktor sein muß für die beachtliche pädagogische und allgemein-menschliche Leistung, wie sie sich hinter einer nüchternen Zahl von nahezu 400 Aufführungen der Burghofspiele seit 1950 verbirgt.

Doch was da 1950 erstmals als äußerer Erfolg sichtbar geworden war, hatte seinen Beginn — wie vieles Reife in diesem Leben — in der Kindheit, die sich hier wiederum auf einig „theaterbelastete“ Vorfahren stützt. Als Publikum für den Vorschulpflichtigen mußten freilich noch Verwandte und Bekannte herhalten. Die Benediktiner von St. Paul im Lavanttal waren für diesen Buben gerade das Richtige. Im herrlichen Theatersaal wurde eifrig Studententheater gespielt. Später, wieder in Friesach, gründete der vom Komödiantenblut durchpulste Studiosus seine eigene Theatergruppe. Die ersten familiären Schwierigkeiten wurden durch den Umstand ausgelöst, daß der Kunstgewerbeschüler Sandler in Wien mehr Zeit für den Theaterbesuch vergeudete, als dem Elternhaus lieb war. Diese Theaterbesessenheit neben dem Berufsstudium änderte sich auch nach der von den Eltern verfügten Zwangsversetzung nach München nicht, wenngleich ihm die dort in den dreißiger Jahren gepflogene Possenreißerei keinen Anreiz gegeben hatte.

Zum Architekten ausgebildet, zieht es Hannes Sandler um die Mitte der dreißiger Jahre in die deutsche Theaterhochburg Berlin. Der Beruf des Architekten und die nunmehr beginnende Ausbildung zum Bühnenbildner sind eine ideale Ergänzung und verschaffen dem jungen Österreicher Zugang in die Berliner Theaterkreise. Auf den Berliner Bühnen dieser Jahre aber gaben sich die Größten ihrer Zeit ein Stelldichein, spielten Heinrich George, Paul Wegener und Emil Jannings, begeisterten Werner Krauss und Gustaf Gründgens, und ging der Stern des jungen Ewald Baiser auf. „Mit meiner bühnenbildnerischen Ausbildung erreichte ich den Zweck, neben dem allabendlichen großen Theater hinter die Kulissen zu schauen. Auch ich gewann damals die Erkenntnis, daß es im Leben nichts Vollkommenes gibt.“ Tief beeindruckt hat den jungen Theaterfanatiker, daß diese großen Schauspieler tiefveranlagte, bescheidene Menschen waren und geradezu eine Religiosität zum Theater besaßen. „Sie achteten mit einer Selbstbeherrschung sondergleichen darauf, streng nach dem Gesetz ihres Körpers und Geistes zu leben!“ So kommentierte Hannes Sandler seine Lehrjahre in Berlin.

1939 wagte Sandler über das Ausstellungsamt, dem er als Architekt angehörte, eine Laien-Theatergruppe zu gründen. Auch damals galt seine ganze Theaterliebe den Klassikern. „In völliger Verkennung“, so klagt er, „wurde bald eine jegliche Initiative dieser Art vernichtet.“ Das Reichspropagandaministerium Goebbels' verbot Laientheatern die Aufführung von Werken der Klassiker.

In den Kriegsjahren hatte der Soldat Hannes Sandler jede Gelegenheit wahrgenommen, durch das Theaterspielen sich und den anderen wenigstens hin und wieder ein kleines Licht in der langen dunklen Nacht zu schenken.

Die Rückkehr aus der Internierung im Jahr 1947 ins heimatliche Friesach, wo die Wohnung ausgeplündert und ein neuer Beginn notwendig war, fesselte durch zwei Jahre die ganze Kraft für die berufliche Konsolidierung. Dann kam das Theaterblut wieder in Wallung. Um den Friesacher Anfang wissen wir bereits. Rund eineinhalb Jahrzehnte Friesacher Theaterarbeit sollen im folgenden analysiert werden.

Die aus dem - im übrigen ausgezeichneten - Männergesangverein Friesach von Hannes Sandler ins Leben gerufene Spielgemeinschaft bewies im ersten Jahr ebensoviel Mut als

auch Tatkraft und Improvisationstalent. Mit alten Telephonen, abmontierten Autoscheinwerfern und Optimismus, grenzenlosem Optimismus, zog man in den Burghof der Ruine auf dem Petersberg ein, um — alles in Eigenregie — die erste Bühne dort zu errichten. Es begann alles so klein, und trotzdem mußten von

Anbeginn die hartnäckigen Widerstände der Schauspielergewerkschaft überwunden werden. „Ein Konkurrenzneid, den wir ganz einfach nicht verstehen konnten“, meint Hannes Sandler. Er bezeichnet den Anfang mit „Wallenstein“ als „vielleicht meine erste und letzte große Tat in Friesach“. Und jene Worte des Max Piccolomini waren der Kern dieser Idee: „O schöner Tag, wenn endlich der Soldat ins Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit, zum frohen Zug die Fahnen sich entfalten und heimwärts schlägt der sanfte Friedensschlag.'“ Das hat gezündet. Ein Glanz erhellt die Augen Sandlers, wenn er von der Ergriffenheit derer erzählt, die mit Krücken auf den Petersberg gehumpelt waren, die in den Tiefen ihrer Seele das Schicksal im Wallenstein, transferiert in ihre Tage, miterlebt hatten.

Der Erfolg war da. Er gebot, sich mit ganzer Kraft ans Werk zu machen. Nicht ein Plan aufs nächste Jahr, die Planung auf ein Jahrzehnt voraus, mit aller Beweglichkeit, wollte getätigt sein. „Die Konzessionslosigkeit der Oberammergauer Spiele hat mir einen kolossalen Eindruck gemacht“, und Sandlers Konsequenz daraus hieß: „Ich wollte in Friesach ähnliches mit dem klassischen Schauspiel erreichen.“

Das Weitermachen in Friesach war freilich ebenso schwierig wie der Anfang, der buchstäblich mit einer Handvoll getreuer Optimisten gemacht werden mußte. Ihrer Begeisterung stand die mitunter bis zum offenen Widerstand gediehene Ver-ständnislosigkeit zahlreicher Friesacher Bürger gegenüber. Die Millionenpleite der Friesacher Spiele in den zwanziger Jahren (nicht identisch mit den Burghofspielen!), die man damals mit fremden Kräften und einem hochstaplerischen Riesenaufwand inszeniert hatte, saß den Friesachern noch in den Knochen. Das Defizit, das die Bürger noch Jahrzehnte hindurch rückzuerstatten hatten, war einer der Gründe dieser Reserviertheit. Das Beispiel der Leistung des einzelnen für die Gemeinschaft gerade aus diesen Erfahrungen heraus, doch auch die menschlichen Probleme, die sich nach dem zweiten Spieljahr vorüber-

gehend innerhalb der Spielgemeinschaft eingestellt hatten, waren die Ursache für die Wahl des „Götz von Berlichingen“ im dritten Spieljahr 1952. Vorher jedoch, das heißt nach der Heimkehr mit Wallenstein, galt es — das war im Jahr 1951 — das Bekenntnis zur Heimat abzulegen. Grillparzers schönes Bekenntnis zu Österreich in „König Ottokars Glück und Ende“ war daher programmatische Kontinuität und Aktualität zugleich.

Österreich war noch von fremden Mächten besetzt. Der mögliche Staatsvertrag zeichnete sich ab, was für die Friesacher Burghofspiele die Idee gebar, den „Wilhelm Teil“ aufzuführen. „Der Richter von Zalamea“ im fünften Spieljahr zwang zur Rückschau auf die furchtbaren parallelen Ereignisse während der russischen Besetzung in den östlichen Bundesländern Österreichs.

Schließlich war für die Laienschauspieltruppe der Griff nach den Tragödien und Komödien Shakespeares zwingend. Der berühmten Beispiele aus der Zeit des großen englischen Dichters sind so viele, daß eine jede Rechtfertigung überflüssig erscheint. „König Heinrich IV.“ machte den Anfang. „Othello“, „Was ihr wollt“, „Der Widerspenstigen Zähmung“, „Die lustigen Weiber von Windsor“, „König Lear“ und „Viel Lärm um nichts“ folgten. Dazwischen spielte man Schiller, Moliere, Kleist, Hauptmann und Grabbes „Hannibal“. Auch ging Sandler ab 1956 dazu über, jährlich zwei Stücke zu inszenieren. „1960 war der Bogen überspannt“, gesteht er. „Die Räuber“ und „Die lustigen Weiber von Windsor“ gingen über die Kräfte. „Im Jahr darauf (.König Lear', ,Der zerbrochene Krug') ging es noch einmal, weil ich fünfzig Prozent auf mich nahm“, deutet Hannes Sandler diese gefährilche Klippe, die es zu überwinden galt, an. Daher beschränkte man sich 1962 bewußt auf ein Stück. „Inzwischen haben die Menschen etwas erwartet, und das war die Position für meine 14 Jahre alte Idee, den .Faust* auf dem Petersberg zu inszenieren.“

“f_T annes Sandler, Schauspieler, Bühnenbildner, Spielleiter und Pädagoge, läßt sich in einem festen Grundsatz nicht beirren: „Man muß durch alle Höhen und Tiefen immer den Glauben behalten.“ Eiserner Wille zur Arbeit aber ist ebenso unerläßliche Konsequenz. „Wagnis und Risiko schweißen die Gemeinschaft.“ Das liegt der Friesacher Tat zugrunde. Ist die Saison vorwiegend mit Schönwetter gesegnet, sind die Burghofspiele aktiv, bei häufigem Schlechtwetter hingegen defizitär. Was immer an Reingewinn abfällt, wird in die Burghofspiele investiert. Da sind Summen, die erst aufgebracht sein wollen: 250.000 Schilling für den Umbau des Zuschauerraumes, 150.000 Schilling für die Erhaltung der Ruinenmauer, weitere 150.000 Schilling für Reparaturen und rund 600.000 Schilling hat allein die Bühne verschluckt, die von der einstigen Simultanbühne zu einer modernen Drehbühne umgebaut wurde. Dazu der jährliche Aufwand für die Inszenierungen und anderes mehr. Darsteller und Mitarbeiter erhalten lediglich eine Deckung ihrer Spesen. 40.000 Schilling gibt die Stadt Friesach, 20.000 Schilling das Land Kärnten und 7000 (!) Schilling der Bund. Doch das kam auch erst nach den ersten erfolgreichen Jahren. Sandlers gesunde Einstellung: „Man darf nicht mit Subventionen anfangen.“ Es sind also fast ausschließlich Eigenmittel, womit man in Friesach eines der reizvollsten Freilufttheater, sicher aber das beste Laientheater aufgebaut hat.

Das Friesacher Arbeitsjahr beginnt anfangs November. Bis Weihnachten besteht es aus einem Vorschulungsbetrieb, der ausgefüllt ist mit gymnastischen und tänzerischen Übungen, Atemtechnik, Artikulation, Lesungen und Filmvorträgen. Eine jährliche Reise zu den großen Theaterzentren des deutschsprachigen Raumes soll den Kontakt mit den vorbildlichen Bühnen herstellen. Wien, München, Zürich, Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf, Berlin hatte man beispielsweise in den letzten Jahren bereist. Nach Weihnachten beginnen in Friesach die Gruppenproben, viermal wöchentlich — und das neben der Berufsarbeit! Das Proben auf dem Petersberg beginnt im Mai, „nicht selten bis ein Uhr nachts“, bemerkt Sandler und fügt hinzu: „Der Petersberg-Bazillus ist in allen drinnen, die mitarbeiten.“

Selbstverständlich sind viele Berufe in der Spielgemeinschaft vertreten: Lehrerinnen, Kaufleute, der Angestellte oder der Architekt. Dazu Sandler: „Ich liebe die bunte Palette.“ Die Hereinnahme von Berufsschauspielern hat er selbst in der größten Not vermieden. „Ein Ackergaul hat ebenso seine Vorzüge wie ein Rennpferd, aber ein Gespann Ackergaul-Rennpferd taugt nicht!“ begründet er das. Die Schwierigkeiten verschiedener Nafur — auch der rein menschlichen — meint Architekt Sandler, sind nicht größer als an jedem anderen Theater auch. Die Seltenheit der wahren Talente zählt er zu den größten.

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