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„Othello” und „Schule der Frauen”

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„Dem Meistergesang, wie er in den großen süddeutschen Städten und in deren kleineren Schwestergemeinden durch Jahrhunderte in Uebung und Ehren stand, entspricht in Oesterreich, und das in einem noch allgemeineren Sinn, das Volksspiel… Was aber dem Meistergesang und dem Volksspiel gemeinsam ist, das ist die genossenschaftliche Pflege. Es ist keine Persönlichkeitskunst, sondern Gemeinschaftskunst … Jede Kunst hat ihren Erdenrest, der zu tragen peinlich . ist… Die urewige Sehnsucht des einfachen Menschen über sich hinaus ins Höhere und der Wunsch, sich selbst in seinem Spiel dem Höheren aufzuopfern, das sind im Idealfall, der immer entscheiden muß, die Wurzeln, aus denen diese Spiele aufgegangen sind. Wann hat es je und wo überhaupt Kunst gegeben, bei der man nicht den Willen für die Tat nehmen müßte? Das Unzulängliche, in der Kunst ist es stets Ereignis geworden … Es gibt keine Tabulatur, nach der man das Volksspiel beckmessern dürfte… Das Volksspiel kann nur an dem gemessen werden, was es aus den Menschen macht und nicht an dem, was der Mensch daraus gemacht hat.” - Josef Nadler, von dem diese Sätze stammen, erinnert in seiner „Literaturgeschichte Oesterreichs” (1951) daran, daß zwischen 1750 und 1800 allein in Tirol an 160 verschiedenen Orten gegen achthundert Volksaufführungen gezählt worden sind und daß in dieser Zeit fast alles von Rang gespielt wurde, was seit 1600 über deutsche und europäische Bühnen gegangen ist. Und Hofmannsthal schrieb 1919: „Es ist etwas in diesem Tun und Treiben, diesem unbesiegbaren Drang zur Darstellung, in der Bild und Klang, pathetische Gebärde und Tanzrhythmus zusammenfließen, das an Attika gemahnt; und hier wie dort scheint es an das gleiche Naturgegebene gebunden: das Bergland.” Vor dem Hintergrund dieser Gedanken erscheint das, was seit 1950 im Burghof auf dem Petersberg zu Friesach geboten wird, als das Natürlichste von der Welt: als Fortführung einer jahrhundertealten aipenländischen Tradition: in der Spielgemeinschaft von Laien, im Spielplan, der sich nicht auf Lokales beschränkt, und in der Begeisterung und Anteilnahme, deren sich die Friesacher Burghofspiele erfreuen. Hier wurden, von Tischlern und Schmiedemeistern, Lehrern und Kauflauten, Schneidergesellen und Holzarbeitern seit 1950 aufgeführt: „Wallenstein” und „König Ottokar”, „Götz von Berlichin- gen” und „Wilhelm Tell”, Calderons „Richter von Zalamea”, Shakespeares „Heinrich IV” und Moliėres „Tartuffe”. Heuer stehen Shakespeares „Othello” und Moliėres „Schule der Frauen” auf dem Programm. In den letzten Jahren wurden diese Aufführungen, die von Ende Juni bis Ende August stattfinden, von jeweils 25.000 bis 30.000 Personen besucht.

Freilich bedarf es zur Realisierung auch des Nächstliegenden und Natürlichsten eines Spiritus rector. Friesach hat ihn in der Person des Architekten Hannes Sandler, der eine dekorative und äußerst zweckmäßige Einheitsbühne schuf, der, von dem schauspielerisch ungewöhnlich begabten Robert Mösslacher unterstützt, die Spiele leitet, und der auch die Titelpartie im „Othello” und den Arnoulphe in der „Schule der Frauen” eindrucksvoll verkörpert. — Es wäre kein österreichisches Theater, wenn es auf die Mitwirkung der Musik verzichtete. Auch hier hat Friesach seinen eigenen Mann in der Person des Komponisten Hans Hattenberger, dessen Partitur für großes Orchester im Sender Klagenfurt auf Tonband aufgenommen und genau mit dem Spiel auf der Bühne synchronisiert wurde. Besonders hervorzuheben ist auch die sorgfältige, fast prunkvolle Kostümierung sowie die Maskenkunst Julius Sternitzkys. So bietet die Friesacher Spielgemeinschaft heute äußerst eindrucksvolle Aufführungen. Und sie bietet sie einem Publikum, unter dem sich viele Tausende befinden, die zum erstenmal ein „klassisches Stück” zu sehen Gelegenheit haben. Viele Namen wären noch zu nennen neben den Darstellerinnen der weiblichen Hauptrollen (Hilde Mösslacher als Desdemona, Gudrun Velisek als Agnes). Aber nicht darauf kommt es an. Wichtiger erscheint, daß Stadt, Land und Staat die Bedeutung, die kulturelle Rolle dieser Spiele erkennen und ihnen jede nur mögliche Hilfe angedeihen lassen.

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