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Kindheitserinnerungen

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Ja, ich lese die Zeitungen und Prospekte, ich höre Radio, ich sehe fern, und so bleibt mir die Erkenntnis nicht erspart: Längst zu den sogenannten Erwachsenen zählend, war ich seinerzeit ein armes Kind. Wohl hätschelten mich meine Eltern, ihr Verdienst darf hier nicht unerwähnt bleiben. Sie feierten mit mir Namens- und Geburtstage, ließen mich lange Zeit über Christkind und Osterhasen im unklaren, fuhren mit mir spmmers aufs Land, kauften mir winters eine Rodel, zugegeben nach langem Penzen, einen Schraubendampfer, etwas heutzutage weithin Unbekanntes, nichts anderes bedeutend als jenen Schlittschuhteil, den man mangels eigener Schlittschuhe an sowieso vorhandene warme Schuhe anschrauben konnte. Luxus umgab mich auch mit dem Inhalt meines Spielzeugschranks: Da lag ein lupen-förmiges Gebilde, dem innen das Glas fehlte, aber mit dessen Hilfe man durch eine statt dessen in den Rahmen eingefügte Rinne eine Kugel durch schnelles Drehen im labilen Gleichgewicht halten konnte, ferner besaß ich ein sogenanntes Schwingshämmer-schen, was eine Korkplatte war, zu dem einige bunte, gelöcherte Stäbchen verschiedener Länge, ein paar Nägel und der namengebende kleine Hammer gehörten und womit ich begeistert diverse Gebilde zuwege brachte, und schließlich verfügte ich über einen Matador-Raukasten Nummer zwei, dem leider auch die Gebrauchsanweisungen für höhere und daher teurere Nummern beilagen, wodurch mir die Erkenntnis nicht erspart blieb, daß, daß außer den mit meinen Mitteln erbaubaren Brücken und Nasenmännchen auch fahrbare Straßenbahnwaggons, bewegliche Krane und rollende Lastautos herzustellen gewesen wären, auf die ich Verzicht zu leisten hatte.

Und da gab es auch noch ein Triton, und zwar jene vereinfachte Version, die nicht mit einem auf den Stehbrett angebrachten Fortbewegungshebel, sondern durch einfaches Fußabstoßen in Bewegung zu setzen war. Vorne, unter dem Gouvernal, hatte mein Modell, welch ein Fortschritt, einen Fahrtrichtungsanzeiger in Gestalt eines drehbaren Pfeils, der als Vorläufer des heute ebenfalls unaktuellen Autowinkers anzusehen war. Was meiner Knabenzeit allerdings fehlte, entnehme ich, wie eingangs erwähnt, den zitierten Medien. Wo waren denn die heute so wert-volen Ferienspiele für Kids jeglichen Alters? Wo spielte man, eigens für meine Altersgruppe, auf einem wohl ausschließlich hiefür geschaffenen Fernsehsender vom frühen Morgen bis in den späten Nachmittag Zeichentrick -und Abenteuerfilme? Wo blieben damals Gameboys, fernlenkbare Flugzeuge und Boote, Walkmen und ausziehbare Barbiepuppen? Wie schließlich unterhielt ich mich, und das ist heute für mich die Frage Nummer eins, gänzlich ohne jeglichen PC, ohne Internet, ja ohne Tamagotchi?

Es ist mir ein Rätsel, wie ich meine Kindheit angesichts dieser Fragen ohne Mangelerscheinungen überstehen konnte. Da man mir auch, sobald ich einen Fünfer nach Hause brachte, und das tat ich mitunter, keine psychologische Unterstützunge angedeihen ließ, mich weder gruppendynamisch betreute noch in hiefür geschaffenen Einrichtungen einfühlsam und schonungsvoll beriet, erscheint mir meine damalige Existenz im Nachhinein als unerträglich.

Allerdings, ich muß das der Vollständigkeit halber anführen, habe ich, es muß ungefähr in jener schrecklichen Zeit gewesen sein, auf das Klopfen der Regentropfen, auf den Gesang der Vögel und auf manches geheimnisvolle Knacken im Wald zu achten gelernt. Ich habe die Köstlichkeit gerösteter Erbsen und frischen Wassers zu schätzen begonnen, ich habe unglaublich spannende Geschichten von Hans. Dominik gelesen und mich wie verrückt über meine erste lange Hose gefreut.

Du meine Güte. Was war ich doch für ein armes Kind.

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