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Licht in der Verdunkelung

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Seit Ende Februar in ganz Ägypten das neue Zivilschutzgesetz in Kraft gesetzt wurde, glaubt man sich hier in die Tage des zweiten Weltkrieges zurückverschlagen: Sobald sich allabendlich die dunkle Nacht des Orients über Kairo, Alexandria und die anderen Städte des Niltales senkt, leuchten nur schwache Sterne vom dunstigen Himmel. Die Straßenbeleuchtung ist abgeschalten, Geschäftsauslagen und Fenster sind blau gestrichen oder mit Papier verschalt, und die seit den Einfuhrerleichterungen für Pkw zahlreich gewordenen Chevrolets und Mercedes bahnen sich mit Blaulicht oder Blitzscheinwerfer mühsam den Weg durch das Dunkel und die auf den Straßen promenierenden Fußgänger, die bei der Finsternis kein Verkehrspolizist auf die Gehsteige zurückdrängen kann. Besonders Schlaue haben daher den polizeilich-blauen Farbbelag auf ihren Strahlern wieder angekratzt, doch dabei die Rechnung ohne den Wirt Stadtverwaltung gemacht, die alle Parkwächter mit Pinsel und Eimer an den Kreuzungen zum Sondereinsatz aufbot, um die Kratzer im Blaulicht bei der Dauer eines Rotlichts zu überpinseln.

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Seit Ende Februar in ganz Ägypten das neue Zivilschutzgesetz in Kraft gesetzt wurde, glaubt man sich hier in die Tage des zweiten Weltkrieges zurückverschlagen: Sobald sich allabendlich die dunkle Nacht des Orients über Kairo, Alexandria und die anderen Städte des Niltales senkt, leuchten nur schwache Sterne vom dunstigen Himmel. Die Straßenbeleuchtung ist abgeschalten, Geschäftsauslagen und Fenster sind blau gestrichen oder mit Papier verschalt, und die seit den Einfuhrerleichterungen für Pkw zahlreich gewordenen Chevrolets und Mercedes bahnen sich mit Blaulicht oder Blitzscheinwerfer mühsam den Weg durch das Dunkel und die auf den Straßen promenierenden Fußgänger, die bei der Finsternis kein Verkehrspolizist auf die Gehsteige zurückdrängen kann. Besonders Schlaue haben daher den polizeilich-blauen Farbbelag auf ihren Strahlern wieder angekratzt, doch dabei die Rechnung ohne den Wirt Stadtverwaltung gemacht, die alle Parkwächter mit Pinsel und Eimer an den Kreuzungen zum Sondereinsatz aufbot, um die Kratzer im Blaulicht bei der Dauer eines Rotlichts zu überpinseln.

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Aber auch innerhalb der Häuser gibt es Unterbrechungen in der Strom-und Gasversorgung, sobald Fliegeralarmsirenen ertönen. Dann werden schleunigst die Kühlschränke ausgeräumt, in denen die für die fleischlosen Montage bis Mittwoche aufgespeicherten Schnitzel und Rippchen im Tauwasser zu schwimmen beginnen. Nach dieser Rettungsaktion eilen die allzu Ängstlichen in den Keller, während die meisten Leute mit völligem Gleichmut von den Baikonen den Flakwölkchen zuschauen, die das ägyptische Abwehrfeuer um die am blauen Himmel glitzernden Flugzeuge mit dem Davidsstern legt. Handelt es sich um einen Nachtalarm, dann müssen Kerzen hervorgeholt werden, was vor allem junge Leute erfreut, deren Party so ihre Fortsetzung bei candle-light nimmt. Auch die Vorfilme der Kinos sind in den Dienst des Luftschutzes gestellt worden und geben anschaulich Anleitung darüber, daß man nicht mehr rauchen und telephonderen soll, sobald dumpfer Sirenenton in der Luft liegt.

Haben die ägyptischen Theater, Kinos und Vergnügungsstätten ihre Leuchtreklamen dem Luftschutz opfern müssen, so zieht es von den öden Straßen, an denen sich jetzt die meisten Schaufenster mit Eisenläden verschließen, um so mehr Besucher zur Unterhaltung, einem geselligen Abend, Bauchtanz und Striptease. Draußen vor der Tür herrscht ein Großaufgebot ägyptischer Polizei, das einigermaßen wirkungsvoll verhindert, daß die nach dem Junikrieg 1967 zu verzeichnende Belebung des Banditentums und die allgemeine Sittenverrohung im Schatten der Verdunkelung einen neuen Auftrieb erfahre. Jene Gattenmörderin aus dem Nildelta, die für sich dann unverfroren eine Witwenrente beantragt hatte, war wohl das bekannteste Symptom der moralischen Nachkriegserschütterung in der VAR. Heute muß sogar jeder Taxifahrer, der einen nächtlichen Gast ühernimmt, der Polizei das Fahrtziel nennen, und sich nach heiler Ablieferung des Fahrgastes wieder auf der Wachstube melden.

Inflation?

Der Mangel an Devisen und Importgütern, dem ein verhältnismäßig hoher Papiergeldumlauf gegenübersteht, die durch radikalen Mieterschutz auf Minimalbeträgen festgeeisten Mietzinse und der anspruchslose Lebensstandard lassen den Ägyptern viel Geld für Ein-tagsvergnüguingen, die Licht in die Verdunkelung bringen. Die VAR-Staatsbanken bemühen sich mit einem immensen Werbeaufwand, diese fließenden Mittel zu binden, haben dabei aber mit der schweren Konkurrenz der Vergnügungsindustrie und mit dem Stundengeschäft der Liebe zu kämpfen, das seine Exposituren aus den Seitengassen ins Geschäftsviertel von Emad El-Din vorgeschoben hat. Diese Partymädchen, die ihr Französisch und Englisch meist dem Sacre Coeur und der St. Mary's School verdanken, die Inhaber von Frisier-und Modesalons, aller Arten von Boutiques, die meist griechischen oder armenischen Nachtklubbesitzer sowie die großen Kinogesellschaften, denen der orthodoxe Patriarch von Alexandria mit dem „Rialto“ als einer der Hauptaktionäre angehört, sind in erster Linie die Gewinnler dieser Situation. Auch Ärzte und kleine Privatunternehmer können sich zu den Wohlstandsbürgern der VAR rechnen, während sich die Masse der Bevölkerung zwar — dank Nasser — einer gewissen sozialen Sicherheit erfreut, aber außer Staatsbürokratie und Staatswirtschaft sowie dem Parteiapparat der .Arabischen Sozialistischen Union“ keinerlei Wege zu einer echten Karriere mit eigenen Kräften hat. Wer die Erlaubnis dazu erhält, sucht seine Zukunft daher meistens in der Aus-

Karikatur: Punch, London

Wanderung nach freiwirtschaftlichen Ländern, von Libanon und Kuweit bis nach Übersee.

Zum Unterschied von dieser groß-und mittelstädtischen Situation haben die Fellachin auf den Dörfern andere Probleme. Auch nach der letzten Bodenreform vom Oktober 1969, von der die letzten Reste des mittleren Grundbesitzes an die Kooperative verteilt wurden, ist das übervölkerte Niltal knapp an kultivierbarer Erde. Die Einziehung der jungen Leute zum Militär — mag auch jeweils der älteste Sohn freigestellt sein — und die Schaffung der für den Zivilschutz und für Sicherungsfunktionen verantwortlichen „Volksarmee“, haben auch dem Fellachen einen hohen Teil der Kriegslasten auferlegt. Um für die entsprechende Begeisterung zu sorgen, werden in allen Dorfkinos Partisanenfilme vorgeführt, die von der nordvietnamesischen Botschaft in Kairo aus Vietkomig-Beständen gespendet wurden.

Unmittelbar dem Krieg ins Auge blicken die wenigen Tausend Bewohner der Kanalstädte Port Said, Ismailia und Suez, die von deren Evakuierung ausgenommen wurden. Straßenkioske hinter Sandsäcken sind ihre einzige Verpflegungsmöglichkeit, Splittergräben ihre Unterkunft. Sie halten die für das übrige Ägypten lebenswichtigen Fabriken, zum Beispiel Propangas, in diesem einst hochindustrialisierten Gebiet in Betrieb, in dem auch rege Bautätigkeit herrscht: Allerdings kein Wiederaufbau der Ruinen, sondern deren Auswertung als Material für Bunker und Unterstände.

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