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Marija und Don Gil

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Isaac Babel, Jude aus Odessa, war eine tragische Gestalt. Er liebte die Revolution, gehörte Budjonnys Reiterarmee an, die gegen Pilsudskį kämpfte, und kam als Opfer des Bolschewismus im Jahre 1941 in einem sowjetischen Straflager um. Babel wurde durch Erzählungen berühmt, doch sein Schauspiel „Marija”, das derzeit im Burgtheater zu sehen ist, druckte man zwar in der Sowjetunion, aber es wurde dort nie aufgeführt.

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Isaac Babel, Jude aus Odessa, war eine tragische Gestalt. Er liebte die Revolution, gehörte Budjonnys Reiterarmee an, die gegen Pilsudskį kämpfte, und kam als Opfer des Bolschewismus im Jahre 1941 in einem sowjetischen Straflager um. Babel wurde durch Erzählungen berühmt, doch sein Schauspiel „Marija”, das derzeit im Burgtheater zu sehen ist, druckte man zwar in der Sowjetunion, aber es wurde dort nie aufgeführt.

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Dieses Stück bietet ein Zeitbild, das die Zustände während der ersten Jahre nach dem Umsturz in Petrograd realistisch zeigt. Niemand ist da gegen die Revolution, auch der ehemalige General Mukownin nicht, dessen jüngere Tochter Ljudmila Opfer eines früheren Garderitt- meisters wird, es kommt zu einer Schießerei, man steckt sie ins Gefängnis. Ein Jude macht mit Hilfe von Invaliden Schwarze Geschäfte. Der Eigennutz beherrscht die meisten Menschen, sie versuchen mit allen Mitteln ein Stück Lebensglück zu erhaschen, aber die Gefahr, liquidiert zu werden, bedroht fast jeden. Aus dieser Selbstsucht und Verkommenheit hebt sich Marija, die ältere Tochter Mukownins, heraus. Sie wird Soldat, arbeitet in der Politischen Abteilung, alle sprechen mit Hochachtung von ihr, ein Brief erweist ihr warmes menschliches Gefühl. Man könnte vermuten, sie verkörpere die Hoffnung auf die Zukunft der Sowjetunion, aber sie, die Titelgestalt, tritt überhaupt nicht auf. Weshalb nicht? Wollte Babel vermeiden, auf der Bühne politische Propaganda zu betreiben, oder war ihm diese Zukunft nur eine Schimäre, ein Wunschtraum, dem er keine Realität zutraute? Die Frage läßt sich nicht beantworten. Die lose verknüpften Szenen, frei von aller Problematik, erweisen Babels Fähigkeit, mit dichterischer Kraft zeitkennzeichnende Gestalten auf die Bretter zu stellen.

Durch das Fehlen einer tragenden, tiefergreifenden Idee in den episch konzipierten Vorgängen’ schlägt allerdings die Bühnenwirkung nicht voll durch. Doch gelingt dem Regisseur Kurt Meisel in mehreren Szenen eine dichte Aufführung. Die vorzüglichen Bühnenbilder von Günther Schneider-Siemssen drücken in Räumen, die sich auch der Höhe nach stark verjüngen, den Niedergang einer Epoche beklemmend aus. Paul Hoffmann ist ein ruhiger, in sich gefestigter Mukownin, nur seinen Tod theatralisiert er. Erika Pluhar gibt seiner Tochter hektische Lebensgier, Edd Stavjanik als geschäftstüchtiger Jude, Michael Ja- nisch als rüder ehemaliger Garderittmeister, Judith Holzmeister als stets bekümmerte Hausdame Mukownins geben der Aufführung schauspielerisch das Gepräge. Die Kostüme entwarf Ursula Schäffler, die der Damen sind nicht zeitgerecht.

Salvador de Madariaga erklärte, für den Spanier sei die vertikale Komponente — auf Gott und den Teufel zu — stärker betont als die horizontale zu den Mitmenschen. Es war im Hinblick auf das spanische Theater gesagt. Dies trifft aber keineswegs auf das Lustspiel „Don Gil von den grünen Hosen” des Mönchs und späteren Priors Gabriėl T&llez — Pseudonym Tirso de Molina — zu, das vom Burgtheater in einer Neuinszenierung bei den Bregenzer Festspielen vorgeführt wurde und nun im Akademietheater zu sehen ist. Die Horizontale beherrscht da ausschließlich die Szene.

Don Gil ist bekanntlich ein Mädchen, Dona Juana, das mit diesem angenommenen Namen in Männertracht, in grünen Hosen, dem ungetreuen Geliebten nachstellt. Die Verwicklungen führen schließlich dazu, daß sich, teils aus Liebe, teils aus Eifersucht, vier Personen als Don Gil in grünen Hosen ausgeben. Tirso de Molina bietet da kaum viel mehr als überaus kunstvoll Verwirrtes, bei dem man über Unwahrscheinliches und Unmögliches hinwegsehen muß. Vollends haben Hosenrollen nicht mehr den Reiz von einst. Das Stück müßte für uns fast ins schwebend Unwirkliche gehoben werden. Statt dessen kommt unter der Regie von Franz Reichert eine lediglich konventionelle Aufführung mit Sonja Sutter als wendige Juana zustande. Erst recht wirkt das Bühnenbild von Hanna Jordan mit Gittern und wechselnden Hängem zu schwer.

In den Kammerspielen gab es eine Uraufführung: das Lustspiel „Gastspiele” von Robert Horney und Walter Firner. Wie fühlt sich ein Charmeur und Herzensbrecher als Vater? Das ist hier die Frage. Bei dem weltberühmten, liebenswürdig eitlen Dirigenten Steven Gilford dringt eine hübsche junge Dame ein: Es ist die ihm noch unbekannte Tochter Stephanie. Er, der in allen Erdteilen von Frauen umschwärmt wird, hat von einigen Kinder. Nun holt er sie alle zusammen, entdeckt die Wonnen der für ihn neuen väterlichen Gefühle und zeigt sich, als die Kinder wieder entschwinden, erst recht glücklich, daß Stephanie nun doch nicht seine Tochter ist. Gewiegte Lustspieltechnik hält das Stück in Schwung, ohne allzuviel zu klappern. Was die Dirigenten betrifft, erhält man hier den Eindruck, daß sie ihre Zeit nur nebenbei mit Dirigieren, hauptsächlich aber mit amourösen Abenteuern verbringen. Unter der gewandten Regie von Peter Loos gibt Johannes Heesters dem Dirigenten echte Herzlichkeit, Begeisterungsfähigkeit, das Entflammtsein für alles Weibliche, er trägt den Abend. Auch die übrigen Figuren finden eine ansprechende Verkörperung.

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