6676508-1961_24_15.jpg
Digital In Arbeit

Melancholic im Schloß

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Blick in die Zeitungsarohive laBt schnell die Schwetzinger Grundmelodie er- kennen. Sie verlauft in melanoholischer Schwebe, wird wieder und wieder unter- brochen von den Seufzern einer mehr ge- traumten als aus realen Vorstellungen sich nahrenden Erinnerung. Das wehmutvolle „Es war einmal…“ hangt einer schwe- ren, siiBen Dolde gleich uber der Spargel- und Fliederstadt, und die ihr Loblied sin- gen, vergessen gewiB nicht, Voltaire zu zitieren, der Schwetzingen geliebt habe wie das himmlische Jerusalem seiner Sehn- sucht. In einem einzigen Namen kristalli- sieren sich die Gedanken an Schwetzingens prunkende Vergangenheit: in dem mit Voltaire befreundeten pfalzischen Kurfursten Karl Theodor. Er liefi den beriihmten Schlofipark. nach Versailler Vorbild an- legen, unter ihm wurde hinter dem nord- lichen Zirkelbau des Schlosses ein Theater errichtet; nicht ganz zu Recht Rokoko- theater genannt, da sich Rokoko- und klassizistische Elemente iiberschneiden. Der Zuschauerraum, wiederum aus franzosi- schem Geiste, hat die Form einer Lyra. Konnte ein musikalisches Werk, das be- titelt ist „E 1 e g i e fur j u n g e Liebend e“, an irgendeinem Orte besser pla- ciert sein?

Hans Werner Henze, der Komponist der vom Siiddeutschen Rundfunk in Auf- trag gegebenen Oper, ist in alien Landern gefragt. Man holt ihn sich nicht wie ein Enfant terrible von der Art Karlheinz Stockhausens, sondern aus aufrichtiger tlberzeugung. Er ist modern, aber er halt Balance: er ist ein Poet des Klanges, ein sensibler Traumer, aber er kann sich stets auf eine verantwortlich gearbeitete Kon- struktion berufen. Er ist unter den wirk- lich modernen lebenden Komponisten

— und ihn davon auszuschlieBen, ware glatter Snobismus — der einzige, der effek- tiv Erfolg hat; Strawinsky vielleicht aus- genommen, aber dessen Geltung griindet sich zumindest in der Offentlichkeit nicht auf seine letzten Werke. Wystan Hugh Auden, der Schwiegersohn Thomas Manns, und Chester K a 11 m a n, die Autoren der „Elegie“, waren bereits fur Stravinsky Xatig. AfidenJst’ Ehgl5ndet’tfnd ,Verfasserts GedicfifI' TOiii''';,Z'eit'a?tleil. def Angst-",,-deften *fitel sJdfi !?iir9chfWbtt-' zwecke so trefflich ausbeuten laflt: Kaliman wurde in Brooklyn geboren. „The Rake’s Progress" — „Das . Leben eines Wiistlings" — stellten sie Strawinsky zur Verfugung, und einer Art Wustling iiber- antworteten sie auch Henzes Komponisten- feder. Dieser neue Unmensch indessen treibt’s zivilisiert, und er hat fiir seine moralisch hochst anfechtbaren Unterneh- mungen eine gute Ausrede: er mub ein „Werk“ schaffen. Liebende sterben durch sein Verschulden den Bergtod in Reinheit

— jedenfalls, was das Verhaltnis der bei- den angeht —, ein Vater hat keinen Sohn mehr, eine Grafin, die des Meisters Sekre- tarin ist und noch draufzahlt, wird zur Komplicin; alles, damit das Werk ent- stehen kann.

Es soil als kiinstlerische Schopfung fiir unantastbar genommen werden: daran lassen weder die Autoren noch der Komponist auch nur den geringsten Zweifel. Der Schein ist alles, das Sein gilt davor nichts: In diesem Satz lafit sich die ganze Asthetik der neuen Oper zusammenfassen. Auden und Kallman sprechen von einem Mythos des 19. und fruhen 20. Jahrhunderts: den- noch scheint es, daB sde das alle Moral- gesetze mit FiiBen tretende Kiinstlergenie nicht verherrlichen wollten. Die Rezen- senten beschaftigten sich vorwiegend mit dieser Frage — denn wir sind ja gewohnt, daB Kunst etwas „aussagt“. In diesem Faile wird nichts ausgesagt, sondern dar- gestellt, ubrigens nicht vollends schliissig, aber das liegt zum Teil an der — wieder einmal miBgliickten — deutschen Fassung.

Eine dialektische Position zum Text, die das Ganze in eine der Frag- wiirdigkeit der Gestalten viel gemaBere „Offenheit" hatte munden lassen, bezog Henze nicht. Vielmehr schritt er sein bis- heriges Oeuvre ruckwarts ab: von der vor genau einem Jahr in Hamburg uraufgefuhr- ten Kleist-Oper „Der Prinz von Homburg”, an die ein offenbar die Motive komprimierendes Zwischenspiel erinnert, bis zur ..Boulevard Solitude" und der Funkoper „Das Ende einer Welt". Die recht Idngliche Oper, von Henze selber im ersten Drittel fiberraschend begabt, dann zunehmend hilflos in Szene gesetzt, von Heinrich Bender musikalisch her- vorragend entfaltet. von der Sangerperson- lichkeit Dietrich Fischer-Dieskaus nahezu Cberfiillt, insgesamt von der Bayrischen Staatsoper in einer uberaus reprasentablen Auffirhrung ge- boten. auf den Festival-Spielplanen von Zurich. Miinchen und — in Gunther Rennerts Inszenierung der Originalversion — auch in Glydebourne ist vielleicht kein grofier Gewinn. Sie stimmt melancholisch.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung