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Mit den Augen eines Literaten

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Einst hieß es: wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Heute, in der gründlich verkehrten Welt, in der des Verkehrs, tut einer eine Reise, viele Reisen, wenn er etwas erzählen kann. Wolfgang Koeppen kann erzählen, er 'kann noch manches andere und nicht wenig Er ist ein Dichter und, in seinem magischen Realismus, ein Verdichter, dem es gelingt, in des Wortes technischer Bedeutung die von ihm geschauten Tatsachen in einen Liebig-Extrakt zu zwängen. Der ist dann würzig, nährend, bekömmlich, literaturpreiswert und erspart dem von allerlei Gedankenblässe angekränkelten Leser, sich selbst aus ungezählten Ingredienzien einen so vorzüglichen Trunk zusammenzubrauen (den überhaupt der Durchschnittsmensch unfähig wäre, zu mixen). Koeppen ist aber auch, dies die Schattenseite des unsere Erde Umkreisenden, also eines Mondes, ein Verdichter in des Wortes zweitem, romantischem Sinn: er vergeudet herrliche Möglichkeiten dann und dort, wenn ihm 'die ganze Richtung nicht behagt und nicht behagen kann. So ist das technoromantische Abenteuer, auf das ihn zu begleiten er die evasionslüsternen Gefangenen einer Kultur im Dienste des Kaufmanns lädt, von unterschiedlichem Reiz.

Am besten geraten sind die Kapitel über die Niederlande und über London. Da bewegt sich der Enkel des Schiffskapitäns aus Anklam in einer Umwelt, die er mit milder und doch ehrerbietiger Ironie zu begreifen imstande ist und die er, das Wesentliche erfassend, auf das Anmutigste zeichnet. Der Niederdeutsche fühlt sich ja stets in englischer oder holländischer Atmosphäre beinahe zu Hause. Ihn Ueberraschendes, Störendes, Belustigendes sieht er als Schrulle und damit Schluß. Schon weniger dem Verfasser gemäß ist das weite, breite Rußland, trotz Rjuryk und den Warägern, dem — instinktiv den deutschen Besucher mehr als Moskau anziehenden — preußisch-holländisch-britisch geprägten Petersburg-Leningrad, trotz Hegel und Marx. Die Schilderungen aus dem sowjetischen Alltag sind leb-nsecht, =ie bezeigen den scharfsichtigen Beobachter, doch £ie blicken nicht in die Tiefe, wie die des ganz anders zuständigen, unvergleichlichen Klaus Mehnert. Sie sind wahr, nichts als wahr, doch nicht die ganze Wahrheit. Hat man Koeppens Idylle vom friedfertigen, seine Einwohner gut nährenden Rätereich gelesen, in dem es für jeden so wohlschmeckenden Kaviar und dazu Champagner gibt, in dem die Gleichheit aller, nicht nur vor dem Gesetz, so musterhaft verwirklicht ist, wo so vorzügliche Eisenbahnzüge und Flugzeuge verkehren, die Menschen sich auf unschuldigen Volksfesten züchtig ergötzen und nur ein paar Betrunkene das Bild eines, freilich rein-irdischen Paradieses stören, dann möchte man sofort um ein Dauervisum ansuchen, das einem zweifellos stehenden oder sitzenden Fußes, wie Herrn Koeppen, vom jeweils kompetenten sowjetischen Botschafter persönlich erteilt würde, und sich nicht durch den einzigen ernsten Vorbehalt des Autors abschrecken lassen, daß es nämlich in der UdSSR so konformistisch, so puritanisch zugeht: im Alltag, in der Kunst und in der Literatur. (Daß Gott, um eine Kritik an Proust zu zitieren, „schrecklich abwesend“ aus diesem gelobten Land ist, was Koeppen nebenhin erwähnt, spielt ja keine Rolle.)

Der aus Greifswald nach Feldafing, das heißt nach Schwabing verpflanzte Weltenbummler wendet eben an alles die Maßstäbe des Literaten an, der immerhin erdnah genug und soweit westlich infiziert ist, daß er außer dem Erotischen auch dem Kulinarischen den Rest von Aufmerksamkeit — einen erheblichen und manchmal überbordenden Rest — zuwendet, der nach Beschäftigung mit der Gedankenfreiheit und Schreibfreiheit der von drückenden Gesetzen losgelösten Geistesfürsten übrigbleibt. Das rächt sich nicht so sehr in den, wie Schon gesagt, sehr treffenden Momentaufnahmen aus England, Holland — ja nicht einmal beim zuverlässigen und in seiner leicht überheblichen Ironie ansprechenden Bericht aus der Sowjetunion, zieht man die zumeist unbewußte Verniedlichung ab —, als in den beiden Kapiteln über Italien und Spanien.

Ich kann mir nicht helfen, doch es stößt mich ärger, als an einer Erzählung aus dem nebeligen Nordwesten, aus dem frierenden Osten, wenn ein Südlandgemälde grobe Bildungslücken zur Schau trägt, mögen sie vielleicht auch den Setzer, den Korrektor zum Mitschuldigen haben Wenn einer, der eine Italienreise tut, hin zu den Urquellen unserer Klassik, dort „den alten Göttern seine Referenz“ erweist (S. 294), so ist dieser Mangel an Reverenz eine sehr üble Referenz. Wenn man (S. 321) abschätzig von den „Schulheften des trockenen Ludwig von Pastor“ spricht und sofort darnach von „ere-mitierten“ Königen, wünschen wir dem überlegenen Genie, das einen mitunter gift-flüssigen Stil schreibt und das dem eremitierten, offenbar den in eine Eremitage, zu Schäferstunden oder als Einsiedler gekommenen Monarchen einen literarischen Fußtritt versetzt und das in einer witzig vermeinten Vision den „letzten Papst ... auf Rollschuhen durch die Gänge“ des Vatikanischen Museums gleiten sieht, das endlich die Reliquien der Märtyrer, die Kreuzsplitter, das heilige Krokodil vom Nil und die nackte Aphrodite synkret(in)isch durcheinandermengt .... wir wünschen ihm, daß er sich einen emeritierten Duden anschaffe, um daraus einige orthographische Weisheiten zu schöpfen, oder gar einen ganz kleinen

Brockhaus, um den Maler Schwind von einem überschüssigen „t“ zu befreien. Im. übrigen: hätte ich eine französische Rezension Koeppens abzufassen, vornehmlich üVjer die den beiden lateinischen Schwestern Italien und Spanien geweihten Abschnitte, begänne ich, Victor Hugo nachahmend: „Dans Koeppenigk il y Koeppen.“ Das brächte zwar einen kleinen Irrtum .der Rechtschreibung, doch keinen des Urteils. Denn in der Haltung des so frei denkenden Italien- und Spanienfahrers ist Entscheidendes aus der des Nordländers, der den schlampigen Mittelmeerlern zwar ihre Borgia und Goya, ihre Laster und ihre malerische (angebliche) Anarchie verzeiht, nicht aber ihre offenen Pissoirs, ihr Spätaufstehen oder gar, wie kann man denn, ihre veraltete Sittenstrenge. Haben wir Koeppens gönne-risch-mißgönnerisches Geschäker über Spanien und seine italienische Reise gelesen, dann wissen wir, das heißt, dann weiß der mit den Schauplätzen dieser Panoramen nicht Vertraute nichts oder nur sehr Fragmentarisches, Anfechtbares über die zwei Länder und über deren Bewohner. Lieber als dem vom Waschzettel gerühmten Röntgenblick des prominenten Dichters der neuen Unsachlichkeit folge man da der altsachüchen Prosa des wackeren Baedecker. Wenn man nämlich nüchterne, allseitig ausgeglichene Wirklichkeit sucht. Begehrt jemand aber nach amüsanter, oberflächlicher — nicht unterflächlicher — Lektüre, bevorzugt er die Ironie, nicht das Pathos, die Distanz, dann' wird er bei Koeppen nicht zu kurz kommen. Dieses Reisebuch ist eine könnerisch angefertigte Reiselektüre.

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