Oh, Pardon, sind Sie der Fürst von Liechtenstein?
Benjamin Quaderers literarisches Debüt, inspiriert von der „Liechtensteiner Steueraffäre“, hätte ein spannender Schelmenroman werden können, wäre der Text nicht gar so ambitioniert geraten.
Benjamin Quaderers literarisches Debüt, inspiriert von der „Liechtensteiner Steueraffäre“, hätte ein spannender Schelmenroman werden können, wäre der Text nicht gar so ambitioniert geraten.
Da will einer viel, sich nicht mit kleinen Brötchen zufriedengeben. Wo sich Novizen im Literaturgeschäft oft damit begnügen, schmale Romane oder Erzählungen vorzulegen, da geht der 1989 in Feldkirch geborene und in Liechtenstein aufgewachsene Benjamin Quaderer in die Vollen. Sein Debütroman, vom zur Random-House-Gruppe gehörenden Luchterhand Verlag gleich zum Spitzentitel des Frühjahrs auserkoren, fährt von der ersten Seite an schweres Geschütz auf und zeigt, wenn es einer der Klappentexte nicht ohnehin verriete, dass der Autor sein Handwerk offiziell gelernt hat, in Hildesheimer und Wiener Schreibinstituten.
„Für immer die Alpen“ bearbeitet einen großen Stoff, eine Affäre, die vor gut fünfzehn Jahren die europäische Finanzwelt erschütterte und vor allem deutsche, an ordnungsgemäßer Steuerentrichtung nicht interessierte Millionäre zittern ließ. Als „Liechtensteiner Steueraffäre“ gingen diese Ereignisse in die Geschichte ein – und brachten zum Beispiel Klaus Zumwinkel, den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG, zu Fall. Als der Mann, der – mit oder ohne Helfershelfer – brisante Steuerdaten der LGT Bank entwendete und sie ausländischen Finanzbehörden verkaufte, wurde der 1965 geborene, im liechtensteinischen Mauren aufgewachsene Heinrich Kieber identifiziert. Obschon er seit 2008 mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, befindet er sich bis heute auf freiem Fuß.
Lebensgeschichte eines Hochstaplers
Keine Frage, ein solches Leben ist die ideale Folie für einen Schelmen- und Hochstaplerroman und könnte es überdies ermöglichen, einen Blick in die Kellergewölbe verschwiegener Bankinstitute und in die Gemächer leibhaftiger Fürsten zu werfen. Wie Benjamin Quaderer am Ende seines Buches angibt, konnte er bei seiner Arbeit auf einen Bericht zurückgreifen, den „Datendieb“ Kieber 2010 veröffentlichte, und auf ein Sachbuch von Sigvard Wohlwend.
Bei Quaderer wird aus Kieber nun Johann Kaiser, der als Ich-Erzähler brav chronologisch von seiner Jugend, seinem Aufwachsen in einem Kinderheim, seinen Anstellungen bei der Swissair und schließlich bei der „Drei Buchstaben Bank“, seinem Aufenthalt in Barcelona und zuletzt von seiner Rückkehr nach Vaduz erzählt, als er in Verhandlungen mit Fürst Hans Adam II. tritt.
Quaderer weiß das Potenzial dieser Biografie und des abenteuerlichen Datendiebstahls durchaus auszuschöpfen. Er erzählt lustvoll und manchmal komisch von einem treuen Liechtensteiner, der nach und nach auf die schiefe Bahn gerät. Der Zufall wollte es, dass sich „Landesmutter“ Gina des kleinen Johann früh annahm – umso schmerzhafter für diesen, als seine Gönnerin 1989 stirbt. Ein symbolischer Mutterverlust, wenn man so will, über den Johann kaum hinwegkommt.
Seine kriminelle Laufbahn beginnt früh, im Kleinen gewissermaßen. Als er, gefördert durch den berühmten Bergsteiger Heinrich Harrer, an einer Schweizer Schule in Barcelona angenommen wird, kommt er nicht umhin, sich gegenüber seinem reichen Freund Rolf und dessen Familie eine falsche Identität zuzulegen. Aus Johann Kaiser wird Johann Hilti, ein Spross des Liechtensteiner Bohrmaschinenimperiums.
Postmodernes Spiel im Spiel
Es gibt viel zu erzählen, bis Johann Kaiser letztlich sein geliebtes Elf-Dörfer-Fürstentum, das sich im Lauf der Jahre zu einem alles Alte verschlingenden Finanzschauplatz wandelt, endgültig verlässt. Knapp sechshundert Seiten gönnt Quaderer dem allem, und spätestens nach der Hälfte ist klar, dass sein Autor bei vollem Bewusstsein seinen Text überborden lässt. Was hätte, denkt man dann, aus dem Kaiser-Kieber-Gaunerstück mit Robin-Hood-Touch für ein spannender, konzentrierter Roman werden können? Wenn, ja, wenn irgendjemand Quaderer davon abgehalten hätte, all das, was er über modernes und vor allem postmodernes Schreiben gelernt hat, seinem Erstling auf Teufel komm raus einzuverleiben.
„Für immer die Alpen“ quillt über von Erzählspielchen, die bisweilen amüsant und sehr oft enervierend sind. Da wird, ohne dass der Text dadurch gewönne, mit der Typografie gespielt, da wird Kaisers Bericht durch einen rot gedruckten Paralleltext eines Kriminalpsychologen konterkariert, und da folgt aus der Lektüre einer James-Cook-Biografie, dass deren Episoden seitenweise in ellenlangen Fußnoten referiert werden. Warum, weiß niemand.
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