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Prolongierte Kulturrevolution

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Obgleich die alles umwälzende Kulturrevolution auf dem Festland von China seit dem Sommer 1969 offiziell vorbei ist, berichten Presse, Radio und andere Nachrichtenquellen immer noch von Streitereien zwischen neuen Fraktionen, über Uneinigkeiten von den kleinsten Dorfkommunen bis hinauf in die führenden Kreise von Peking. Kadermitglieder werden vor Volksgerichte, sogenannte „Känguruhgerichte“, geschleppt, wo sie sich rechtfertigen müssen, warum sie die von Mao Tse-tung (man spricht den Namen hier Mao dze dong aus) vorgeschriebenen Richtlinien nicht hundertprozentig beachtet haben.

„Peking Peoples Daily', Chinas offizielle Tageszeitung, berichtet, daß Kadermitglieder zum Beispiel ihre weichen Matratzen und gemütlichen Sofas aus ihren Stadtbüros mitgenommen hätten, als sie aufs Land geschickt wurden, um den „ärmsten und mittelmäßig gestellten Bauern zu helfen“, daß sie Staatsgelder mißbraucht hätten, um sich komfortable Quartiere zu bauen. Kurz, man führt nach wie vor einen harten, unerbittlichen psychologischen Kampf gegen Egoisten, Spekulanten, Verschwender, Gegenrevolutionäre und Saboteure der Volksökonomie. Gegen Korruption jeder Art.

Der Bauer wird ermahnt, sich mit ganzer Kraft auf die Früjahrsaus-saat zu stürzen und nicht so viel Zeit mit seinen eigenen Kohlköpfen auf seiner kleinen Parzelle zu „vergeuden“. China benötigt eine noch bessere Ernte als im letzten Jahr. Zur Erreichung dieses Zweckes müssen sich alle zu einem „Aying leap for-ward“, einem „fliegenden Sprung vorwärts“, aufraffen.

Zur Krönung aber läßt man die Jugend zu Gericht über ältere Mensehen in verantwortungsvollen Positionen sitzen. Man wettert gegen die „Unbekehrbaren“, die törichterweise immer noch glauben, Fabriken müßten von Experten geleitet werden, anstatt zu sehen, daß eifrige junge Revolutionäre es viel besser können. Selbst bekannte Persönlichkeiten der obersten Führung sind bekanntlich in Ungnade gefallen. Für den ehemaligen Präsidenten der Volksrepublik China, den „Erz-Revisionisten“ Liu Shao Chi, der 1966 von den Roten Garden denunziert wurde, hat man allem Anschein nach noch keinen Nachfolger gefunden. Seit der 20-Jahr-Feier der Staatsgründung am 1. Oktober letzten Jahres wurde der betagte Vizepräsident der Volksrepublik China, Tung Pi Wu (gesprochen: Dong-bi-wu), damit beauftragt, als Staatsoberhaupt zu amtieren. Eine seiner Pflichten, der Empfang von ausländischen Staats-chefs, wurde jedoch weiterhin von Premierminister Tschu En-lai ausgeübt. So zum Beispiel bei dem Besuch des mit allen einem Staatsoberhaupt zukommenden Ehren empfangenen Prinzen Sihanouk von Kambodscha, der zu diesem Zeitpunkt bereits abgesetzt war.

Premierminister Tschu En-lai übt zudem auch noch meist das Amt des Außenministers aus, Vizepremier Li Hsien Nien fungiert dabei als sein . Stellvertreter. Seit Oktober ist dieser mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Konflikte im Außenministerium haben sich wohl schon Mitte 1966 entwickelt. Anfang 1967 wurden sie dann noch offensichtlicher, als Peking alle Botschafter mit Ausnahme des Gesandten in Kairo nach Hause zitierte. Angeblich wurde vielen vorgeworfen, daß sie noch zuviel im Sinne Liu Shao Chi's dächten und sich im Ausland noch nicht genügend proletarisch gegeben hätten.

Wie die breite Volksmasse reagiert, ist von Hongkong aus überaus schwer zu beurteilen. China bleibt eine dunkle Masse von 750 Millionen schwer arbeitender, disziplinierter und schweigender Menschen. Es ist erlaubt, Briefe mit dem Festland zu wechseln, anscheinend ohne Zensur. Früher bekamen die Chinesen hier in Hongkong des öfteren Briefe von ihren Verwandten in China, die zwar alle Anspielungen auf politische Fragen peinlichst vermieden, von Familien- und persönlichen Angelegenheiten aber verhältnismäßig ausführlich erzählten. Jetzt sind die Briefe seltener geworden und kurz gefaßt. Meist heißt es nur: Wir haben Eure Geldanweisung erhalten und danken Euch dafür. Die Chinabeobachter, die hier so eifrig Augen und Ohren spitzen, sind sich einig, daß man früher in drei Tagen so viel gehört hat wie jetzt in drei Monaten.

Öl, Zucker und Dollars

Feuer auf Trinidad

Von Walter Jelen / Toronto

Der Geographieunterricht, der dem Zeitgenossen in Form von Krisenmeldungen verabreicht wird, macht Fortschritte. Während vor einigen Wochen die Landkarte Indochinas in; allen Zeitungen auftauchte, wurde letzte Woche die Lage der lösein Trinidad und Haiti repetiert. Duvalier, der sich zum Präsidenten auf Lehenszeit wählen ließ, hat die Lage nach einer Meuterei der Kästenwache von Haiti wieder „völlig in der Hand“. Auch der Aufstand der Black-Power-Bewegung von Trinidad brach zusammen, bevor er von der Weltöffentlichkeit richtig zur Kenntnis genommen werden, konnte, 80 aufständische Miliiär-mitglieder sind in Haft, in Haiti gab es zwei, in Trinidad sechs Tote, die Rebellen in Trinidad hielten zeitweilig den Militärstützpunkt ChagUäramas besetzt ttnd fordertelo^f^rtrtlassuiig politischer Gefangener. Der Rebellenführer Granger wurde in einem Reisfeld verhaftet. Der Export der Insel Trinidad wird weiter prosperieren, und die Armen vori Trinidad werden weiter hungern.Trinidad, die südlichste der sonnigen Karibischne Inseln — Anno 1498 von Kolumbus entdeckt und seit 1962 als Trinidad und Tobago ein unabhängiger Staat —, hat stets Kanadier fasziniert und kanadische Dollars angelockt. Die größte Zeitung der öl-reichen Calypso-Insel, „The Guardian“ (Port of Spain), ist Eigentum des aus Toronto stammenden Lord Thomson. Bank of Nova Scotia, Royal Bank, Canadian Imperial Bank of Commerce und Bank of Montreal sichern die wirtschaftliche Hegemonie des „Landes der Ahorn-blätter“ und sind hier mit einer großen Zahl von Filialen repräsentiert. Doch die bedeutenden Schäden bei den Unruhen in der Montrealer Universität im Vorjahr (bei denen Tri-nidadians eine prominente Rolle spielten) haben zu Anklagen gegen diese geführt, was sogleich die militante „Black-Power“-Bewegung in Trinidad zu Drohungen gegen Kanadier und kanadische Investierungen veranlaßte. Diese „investments“ reichen von Versicherungen, Hotels und Banken bis zu der Hemdenfabrik Forsyth und der Beteiligung bei Angostura Bitters, ein süffiges Getränk, das sich einer internationalen Popularität erfreut. Trinidad produzierte in den ersten neun Monaten 1969 mehr als 237.000 Tonnen Zucker, mehr als 45.000 Tonnen Asphalt und mehr als 39 Millionen Faß Ol. Kaffee und Kakao gehören zu anderen begehrten Exporten der Insel, die sich über 1864 Quadratmeilen erstreckt und eine Bevölkerung von rund einer Million Menschen beherbergt. Die Hälfte der Einwohner sind Schwarze, und der Umstand, daß die Zahl der Arbeitslosen zwischen 10 und 15 Prozent der Bevölkerung beträgt, gilt als Hauptursache einer Unruhe, welche die Bedeutung der „Black-Power“-Be-wegung hochspielt. Als „Schmelztiegel“ ist Trinidad ungewöhnlich interessant. Kreolen, Ostinder, Neger, Syrer und Chinesen — nebst Europäern — ergeben ein faszinierendes Bevölkerungsmosaik. Den Mischehen entstammen oft Mädchen von besonderer Schönheit. Europäer mit Initiative konnten in Trinidad willkommene Pionierarbeit leisten. Ein Beispiel gab der aus Deutschland stammende Einwanderer Auerbach, der 1933 seine Heimat verlassen mußte und in Trinidad eine neue fand. Es gelang ihm, ein sumpfiges Terrain in ein blühendes Siedlungsgebiet zu verwandeln. Als „Mr. Auerboukh“ ist er unvergessen. Trinidads Generalgouverneur — und somit Repräsentant der Königin Elizabeth — ist ein Chinese; die Helme der Polizisten in Port of Spain ziert ein „Star of David“, was an einen früheren jüdischen Polizeichef erinnert. Dr. Eric Williams, der Premierminister von Trinidad und Tobago, vordem Universitätsprofessor, gilt als einer der fähigsten Politiker des karibischen Raumes. Er ist bei seinen Anhängern, die in der People's Nationalist Movement Party zusammengefaßt sind, sehr populär.

Die Teuerungswelle ist allerdings auch in Trinidad ein „heißes Eisen“. So kostet etwa ein Paar Schuhe, das sich vor zehn Jahren auf sechs Dollar belief, nun 16 Dollar.

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