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RENE CLAIR / DER ANDERE ZAUBERER

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Kleine Statur, schmaler Kopf: Rasse und Nation zugleich. Er spricht im 60-Kilometer-Tempa, lebhaft, pointiert, aber nie flüchtig. Wenn seine nervösen Künstlerhände Schattenspiele auf das Weiße Tischtuch werfen, wenn er ohne bedeutsames Lächeln bedeutsame Bonmots verstreut („die beste Synchronisation ist der stumme Film“), wenn er mit schmalen, scharfen Lippen und den heftig zustoßenden (zarten!) Händen die robuste Filmbreitwand auf dem Boden zerstört und dabei ein unangebrochenes Päckchen mit typisch schwarzen französischen Zigaretten zerkrümelt, sucht man nach einem Vergleich. Da, da ist es: die Hände eines verzückten, aber keinen Widerspruch duldenden Dirigenten. Und die zwingenden Augen eines Zauberers. Es ist mehr als ein „Zeichen“, daß er den großen Magier und Phantasten des Films, seinen Landsmann, erst zwei Monate vor dessen Tod kennenlernte: Ueber-gabe des Stafettenstabes von Georges Melies an Reni Clair.

*

Wie wir den Namen Chaplin und Garbo mit anderem Atem aussprechen als den der „übrigen“ Filmschauspieler, so auch den des Autors und Regisseurs Rene Clair. Dabei wird er einmal, wie Greta Gustafson, unter einem Decknamen in die Filmgeschichte eingehen. Wie wenige werden dann noch seinen bürgerlichen Namen Reni Chomette kennen? Mit Chaplin wieder verbindet ihn der ästhetische Sozialismus, das Mitleiden mit den ewigen und aktuellen „Miserables“ dieser Jammererde. Während dieser aber zur Tar-

nung ins heiter-sentimental-makabre Märchen flüchtete, verbirgt Clair sein Herz hinter dem Narrengeklingel romantischer Ironie, genährt von traumhaft-intellektueller Phantasie.

Ein Teil dieses Herzens freilich hat immer seiner Heimatstadt Paris gehört. Da wir in diesen Tagen seinen 25. Film, seine 35jährige Filmregietätigkeit, noch in diesem Jahr (am

11. November) seinen 60. Geburtstag und soeben seine Honorierung mit der „Goldenen Feder“ der Wiener Filrnjournalisten feiern, erinnern wir uns an jene Melodie aus „Sous les toits de Paris“ (1930), die zwar Moretti in Noten gesetzt, Albert Prejean gefühlvoll vorgetragen, Rene Clair aber in Wahrheit „gesungen“ hat.- In keiner Stadt der Erde hat

der Film hinter der grauen Armut und dem schwarzen Elend so viele Farben, soviel Poesie entdeckt wie im Paris Reni Clairs. *

Er war Kaufmannssohn, Journalist, Statist bei Feuillade und Assistent bei Baroncelli, ehe er sich in die Filmregie — und in Paris verliebte. Rettungslos. Es begann 1923 mit drei klassischen Dadaismen der Avantgarde. 1930 ging über den „Dächern von Paris“ so recht sein Sternbild auf. Zu ihm gehören noch in voller Leuchtkraft: „Le Million“ (1931); „A nous la Liberte“ (1932) und „14 Juillet“ (1933). Zur englischen Epoche (1935-1938) zählt ,;The Gost Goes West“, Vier Filme in Amerika strahlten milder. Dann aber ging der Stern wieder auf — in der Heimat, in Paris: 1947 „Le Silence est d'Or“, 1950 „La Beaute du Diable“, 1952 „Les Beiles de Nuit“, 1955 „Les Grandes Manqeuvres“ und 1957: „La Porte des Lilas“.

*

Wir begegneten ihm anläßlich seines Wiener Besuches auf einer Party der Oefram-Film im Palais Dietrichstein-Lobkowitz des Johann Bernhard Fischer von Erlach. Da er uns nach einer überaus lebhaften Stunde rasch, fast hastig verabschiedet hatte, schien er zu einer dringenden anderen Verabredung zu entschweben. Man konnte ihn aber noch eine halbe Stunde später im Hof des Palais sinnend und wie abwesend vor dem Herkulesbrunnen sehen. Er hatte, wie bei seinen Filmen (im Durchschnitt einen in eineinhalb Jahren) auch hier keine Eile.

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