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Sartre sieht Amerika

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Das Theater der Courage ist gegenwärtig die einzige Bühne Wiens, deren Spielplan einer scharfumrissenen Einstellung, einer echten Tendenz folgt: Kampf der Unterdrückung und Terrorisierung, der Vernichtung des Menschlichen — in allen Masken und Verkleidungen, in denen heute dieser Prozeß der Liquidierung durchgeführt wird. Kampf also vor allem der Lüge und dem Jasagen unserer allzu schnell zu stillschweigendem und offenem Einverständnis mit den Gewalttaten unserer Zeit bereiten Zeitgenossen. In diesem Sinn ist nun auch die Aufführung J. P. S a r-tres .Die ehrbareDirne“ zu verstehen. Das ist der Sartre der „Erwägungen über die Judenfrage“, der Vorstreiter der unbedingten Rechte jeder Person, jeder verfolgten Rasse, Klasse, Menschengruppe. Vergessen wir es doch nicht: so viel sich gegen den Existenzia-lismus Sartrescher Prägung einwenden läßt, hier wird seine echte historische Grundlage sichtbar: die verzweifelte Bedrängnis des modernen Individuums, der Person, die sich mit allen Mitteln zu behaupten sucht wider den Druck der „Großen Mächte“. Der Mensch Im Engpaß mörderischer Bedrohungen — hier im Stück sind es die Neger in den Südstaaten der USA. Erinnerungen an den Prozeß von Scottsboro werden wach: eine Dirne liefert hier wie dort das Zeugnis, das zur Verurteilung und Justifizierung der „verdammten Neger“ nötig ist. Dem mitteleuropäischen bürgerlichen Theaterbesucher mag die Schilderung der Negerjagd 1950 verzerrt, übertrieben erscheinen. Wohlmeinende Fragen: Ist es wirklich so arg? Leben wir noch in den Zeiten von „Onkel Toms Hütte“?

Daß es „arg“ sein muß, erweist die Ankündigung des großen innenpolitischen Feldzuges Trumans 1950 für die bürgerlichen Rechte der USA-Neger und vielleicht auch die Tatsache, daß „Die ehrbare Dirne“ gegenwärtig im Selwys-Theater in New York täglich fünfmal von drei Ensembles gespielt wird. Wir glauben und hoffen, daß dieser Erfolg nicht nur der reißerischen Aufmachung und der bekannten Vorliebe Sartres für Salerien verpflichtet ist, sondern auch dem sehr ehrbaren Thema: meretrices vos precedent in regnum coelorum

— wie das Evangelium sagt —, schlicht in der Sprache unseres Tages gesprochen: seht, Brüder, was ihr mit ihm aufführt — mit dem Menschen! — Vor der „ehrbaren Dirne“ wird ein soeben in London preisgekrönter Einakter eines jungen Engländers gespielt: „W i e g e n-lied im 2 0. Jahrhundert“ — eine Montage um eine Mutter, die an der Wiege ihres Kindes in Gesuchten dessen bitteren Lebensweg sieht. Eine einfache Lehrfabel ohne dramatische Ansprüche.

Nestroy in der Scala. Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Üas liederliche Kleeblatt.“ Das Lieblingsstück des jungen Nestroy, das Stück, mit dem er sich im März 1862 als Knieriem von dem österreichischen Publikum, das er so sehr gehaßt und so sehr geliebt hatte, verabschiedete. Ein Stück also, das in der Aufführung verpflichtet. Die Scala arbeitet das Volkhaft-Schwankmäßige heraus, travestiert die Zauberwelt stärker als erlaubt, gestaltet aber alles in allem einen heiteren, „volkstümlichen Abend“, der einschlägt.

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