Sehnsucht nach Böhmen

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Insgesamt 17 Reisen führten den Johann Wolfgang von Goethe nach Böhmen. Hier genoß er Kuren und Bäder und studierte Land und Leute. Eine Spurensuche im heutigen Tschechien.

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Insgesamt 17 Reisen führten den Johann Wolfgang von Goethe nach Böhmen. Hier genoß er Kuren und Bäder und studierte Land und Leute. Eine Spurensuche im heutigen Tschechien.

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Im Goethejahr 1999, anläßlich des 250. Geburtstages, gedachte man nicht nur in Weimar und in Frankfurt und im übrigen deutschsprachigen Raum des Dichterfürsten, sondern auch bei unseren nördlichen Nachbarn, in Tschechien, mit dem den Geheimrat allzuviel verband: In Marienbad (Marianske Lazne) liegen stets frische Rosen vor dem Goethe-Denkmal, in Königswart (Kynzvart) wurde im ehemaligen Metternichschloß in der Bibliothek des "Kuriositätenkabinetts", das unter dem Kustos Karl Huß, einem ehemaligen Egerer Scharfrichter, angelegt worden war, die Goethebüste neu aufgestellt, in Hassenstein (Hasistejn) wurde die Gedenktafel renoviert und frisch aufpoliert, in Petschau (Becov nad Teplou) gedenkt man bei der Schloßführung erstmals wieder des großen Deutschen. Ob man nach Saaz (Zatec), Dux (Duchcov), Eger (Cheb), Karlsbad (Karlovy Vary), Franzensbad (Frantiskovy Lazne) reist, überall begegnet man dem Namen Goethes anläßlich von Dichterlesungen und Kulturveranstaltungen.

Beeindruckend reich In Tepl (Tepla) zeigte uns die Führerin in der wunderschönen Klosteranlage die Mineraliensammlung des Geheimrats, die er handschriftlich dem Kloster anläßlich seiner ersten Kur in Marienbad am 21. August 1821 vermacht hatte. Neben der Mineraliensammlung im naturwissenschaftlichen Kabinett von Tepl werden im Stift zur Erinnerung an die Besuche Goethes neben einem Bild des Dichterfürsten auch noch Originale von einem Briefwechsel mit dem am Pilsner Gymnasium tätigen Prälaten von Tepl Professor Joseph Stanislaus Zauper gezeigt. Goethe besuchte auch im Jahre 1822 das Kloster, wo er jedesmal freundlichst aufgenommen wurde. Er war "tief beeindruckt von der Zucht und Ordnung" und dem Reichtum des Stiftes, dessen Bibliothek damals 30.000 Bände umfaßte, darunter viele Erstdrucke, kostbare Handschriften und den berühmten "Codex Teplensis", eine noch vor Luther von einem Tepler Klostergeistlichen verfaßte Übersetzung des "Neuen Testaments."

Zweifellos war Goethe keinen anderen Städten - außer Weimar und Rom - so zugetan wie den großen Kurorten Karlsbad und Marienbad. Er hatte durchaus die ernste Absicht, sich hier an der Tepl, dem "warmen Fluß", wo er die Bewohner bereits die "Seinigen" nannte, niederzulassen. Allein der Wunsch zum Erwerb des Hauses "Zum goldenen Brunnen" auf der Alten Wiese in Karlsbad wurde nicht verwirklicht. Seine Beziehung zu dem Badeort legte er im Gedicht "Karlsbad" nieder: Was ich dort erlebt, genossen,/ was mir all dorther entsprossen,/ welche Freude, welche Kenntnis,/ wär ein allzu lang Geständnis!/ Mög es jeden so erfreuen,/ die Erfahrenenen, die Neuen!

Wie Goethe Böhmen anläßlich seiner ersten Reise sah, schildert der Dichter wie folgt: "Auf der Höhe von Thiersheim war ein sehr schöner Blick nach Böhmen hinein, man sah die verschiedenen Gebirgsreihen hintereinander und die höchsten zuletzt den Horizont schließen. Auch konnte man Maria Kulm sehr deutlich unterscheiden. Gleich hinter Schirnding, wo man über die Brücke geht, ist ein allerliebster landschaftlicher Gegenstand. Wir fuhren nun in der Region der Eger flußabwärts. Das Tal verbreitert und verflächt sich, der Boden locker von mehr oder minderer Güte, sorgfältig und reinlich behandelt. Man hat viel Wälder ausgerodet und in Feldbau verwandelt. In Schirnding wurde der Paß visiert. Vorher hatte sich schon Basalt in einzelnen Stücken am Wege sehen lassen. Wir kamen an die österreichische Maut, nun verbreiterte sich das Tal immer mehr und man lernte den Eger-Kreis von dieser Seite kennen. Um 12 Uhr in Eger."

Dichter und Forscher Allzuviel Trennendes ließ den Namen des großen Deutschen über 40 Jahre lang in Vergessenheit geraten. Allein auch in der Kultur mußte das Verbindende der beiden Staaten über das Trennende siegen. Goethe steht heute bei den deutschen Schriftstellern und Dichtern, im Studium der heranwachsenden Intelligenz des Landes an erster Stelle. Es wird natürlich unverhohlen und mit Recht auf die Liebe des Dichterfürsten zu diesem schönen Land verwiesen. Von 1785 bis 1823 unternahm Johann Wolfgang von Goethe insgesamt 17 Reisen nach Böhmen, davon dauerten fünf jeweils mehrere Monate. Goethe hat in keinem Land, außer in seiner Heimat, so viel Zeit verbracht wie in Böhmen. Allein in Karlsbad absolvierte er zwölf Kur- und Badeaufenthalte.

Den Dichterfürsten zog es nicht nur wegen der Gesundheit nach Böhmen, sondern vor allem wegen der Menschen und der Natur. Seine Lieblingsgegend war das Egerland. Die größte Bewunderung erfuhr von ihm der "Schwarze Turm" in Eger (Rest der ehemaligen kaiserlichen Burg, in der in Wallensteins Mordnacht dessen getreue Generäle getötet wurden). Vom "Schwarzen Turm" soll er einmal gesagt haben: "Ich wüßte nichts einfach Größeres von dieser Art. Ich sage nicht zuviel; stünde dieser Turm in Trier, so würde man ihn unter die vorzüglichsten Altertümer rechnen, stünde er in der Nähe von Rom, so würde man auch zu ihm wallfahren".

Am 18. Januar 1829 schreibt Goethe an Zauper: "Wie sehr ich meine jährlichen Besuche und das Wiedersehen so mancher wackeren Personen in Böhmen vermisse, wage ich nicht auszusprechen." Und in einem anderen Brief: "Jederzeit, wenn die Jahreszeit herannaht, die ich sonst so vergnüglich und nützlich in Böhmen zubrachte, fühle ich eine mächtige Sehnsucht dorthin und vor allem wird der Wunsch lebhaft ... manches neu zu erfahren und mich gefällig des früheren Guten zu erinnern ... In völliger Gewißheit, daß, wenn ich noch einmal die Voigtländischen Gebirge übersteigen sollte, sie in Ihrem herrlichen Egerkreise, den ich mir so gerne vergegenwärtige, immer gleich tätig und teilnehmend zu sehen." Goethe versuchte hier zwischen Eger und Franzensbad immer wieder seine wissenschaftliche Neugier zu befriedigen: Den nördlich von Eger gelegenen Kammerbühl hatte er nicht weniger als elf Mal besucht und geologisch und mineralogisch untersucht. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen wurden von ihm in verschiedenen Aufsätzen und Studien niedergeschrieben. Da er sich über den geologisch-morphologischen Aufbau nicht schlüssig war, empfahl er - auch um seine persönliche Neugierde zu befriedigen - einen Stollen in das Innere des Berges zu graben, um die Gesteinsschichten besser erforschen zu können. Die Anregung Goethes wurde freilich erst nach seinem Tode durch den Grafen von Sternberg aufgegriffen und durchgeführt. Heute ist der Stollen verfallen, eine Tafel - gewidmet von Naturfreunden - versehen mit den Antlitz des Dichters erinnert noch an die "wissenschaftliche Neugier des Dichterfürsten": "Goethe, dem Erforscher des Kammerbühls 1808 bis 1822."

Literarisch hat er den Bewohnern des Egerlandes ein Denkmal gesetzt: "Es ist ein wackeres, abgeschlossenes Völkchen; ich habe die Egerländer wegen ihrer beibehaltenen Kleidertracht, die ich in den früheren Jahren wahrnahm, lieb gewonnen ... Es ist ein stämmiges, robustes Volk von gesundem Aussehen und soviel ich merke, haben die Egerländer meist weiße gesunde Zähne, dunkelbraune Haare, doch wenig Waden."

Ur-Urahnen berichten Wenngleich das "Völkchen" der Egerländer heute in alle Himmelsrichtungen zerstreut wurde, so finden sich doch noch immer wieder Erben von Zeitzeugen deutscher oder tschechischer Provenienz, die voll Begeisterung von den Erinnerungen ihrer Ur-Urahnen berichten, denen Goethe in persönlicher Erinnerung war.

Goethe wählte Böhmen nicht nur zu seinem beliebtesten Reise- und Kurziel, sondern schuf hier auch einen Teil seiner bedeutendsten Werke: Zum dichterischen Nachlaß, der in Böhmen entstanden oder mit Böhmen in Verbindung zu bringen ist, gehören zweifellos neben den "Wahlverwandtschaften" die Erzählungen aus den "Wanderjahren", Teile des "Westöstlichen Diwans", die "Trilogie der Leidenschaft", sämtliche Karlsbader Gedichte und nicht zuletzt die "Marienbader Elegie". Wie Goethe von Zeitgenossen in Böhmen gesehen wurde, gibt vielleicht ein Brief des Malers Friedrich Burg am besten wieder: "Den Geheimen Rat Goethe traf ich in Karlsbad an und da waren alle Wünsche, welche ich auf dieser Reise haben konnte, erfüllt".

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