Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Senhor Manoel und die Geister
Die runde Lampe des Mondes hing in einer langen Wolkenbank. Von Zeit zu Zeit blitzte sie auf. Der schwarze Ozean funkelte dann aus der Tiefe, und der Convento von N. S. da Penha erstrahlte silbern auf. Aber schon legte die Finsternis ihren schwarzen Mantel um das Gemäuer.
Unser Gespräch hatte schon am Mittag begonnen. Doktor S h i g e-m i t s u las uns beim „cafezinho“ folgende Meldung aus der Zeitung vor: „In einer Radioansprache bezog sich der Kardinal von Rio, D. Jaime de Barros Camara, auf die Macumba (Geisterbeschwörung), die auch auf Sao Paulo übergreife. Er erzählte, daß er am Tage des hl. Sebastian auf einer Straßenkreuzung sah, wie zahlreiche Neugierige dort um eine Macumba versammelt waren. Sie bestand unter anderem aus dem Kopf, den Beinen und dem Herz eines Ziegenbocks, Zigarren, einer Flasche Schnaps, Kerzen. Niemand wagte, die Macumba anzurühren, so daß der Kardinal aus seinem Wagen stieg und sie in ein Gebüsch warf.“
Die Notiz illustrierte trefflich unser heutiges Thema. Senhor Manoel, unser Spiritist, sah stumm vor sich hin, aber sein Händespiel verriet seine Erregung. Der Japaner hatte noch einige Titel rot angestrichen: „In Mexiko wird Christus unter die alte Götterschar aufgenommen. Die Weltmetropole des Spiritismus, Rio de Janeiro, mit 500.000 Umbandisten (Anhänger des afrikanischen Zauberwesens) schließen sich dem Spiritis-
Ake ge-J wesen. „Einst stand vor den Toren der Hauptstadt“, so erzählte er, „das Heiligtum des Erdenmütterchens To-nantzin, zu der die heidnischen Indianer wallfahrteten. Heute wird sie als die Muttergottes von Guadelupe verehrt. Sie sieht ihrem Urbild so ähnlich, daß sie sogar ihre braune Hautfarbe geerbt hat. In den Befreiungskriegen wurde sie den rebellischen Heeren vorangetragen, indes die Spanier sich die Virgena de los Reme-dios erwählten. So kämpfte die heilige Jungfrau gegen die hl. Jungfrau.“
Von Guatemala berichtete er, daß im Inneren der berühmten Kirche von Santo Tomas ein Kreuz hängt, vor der Kirche aber ist in die Stufen ein Altar eingebaut, wo die Indianer dem Wel-tcnschöpfer der Mayas, Hurakan, ihren Weihrauch verbrennen.
Ist der Aberglaube in Lateinamerika wirklich nur eine Folge des Priestermangels? Ich möchte ein großes Fragezeichen machen. Was habe ich in der „Stadt der Eleganz“, in Rio, erlebt! Unser Freund, Sr. Manoel, wird wohl diesen Teufelsdienst kennen. Ich hatte den Großvater unseres Dienstmädchens gesund gemacht, mit ein paar Kneippwickeln vertrieb ich sein Fieber. Zum Dank verschaffte der Alte mir eine Einladung zu dem geheimen Macumba-„Gottesdienst“. Ich hatte Shigemitsu meinen Bericht versprochen, er wollte Sr. Manoel demütigen, das war mir klar. Und so gab er mir das Wort.
Walpurgisnacht
In der Nachbarschaft des früheren Palais des Bundespräsidenten liegt der Salgueiro-Hügel in Rio de Janeiro. An einem Freitag vor St. Georg, in später Nacht, stieg ich mit einem Begleiter hinauf. Dort weht der laue Wind vom Kongo. Der „Vater der Santos“ begrüßt mich mit doppelter Umarmung. Eine blaurote Fahne krönt Oguns (St. Georgs) Altar. Gesichter christlicher Heiliger starren mich von den Wänden der Lehmhütte an. Schwerter, Tücher, Girlanden.
Jetzt treten die „Söhne des Heiligen“ ein, sie stellen sich seitwärts des Altars auf. Ihnen gegenüber, Aug in Aug, die „Töchter“. Der „Vater“ und die „Mutter des Heiligen“ erscheinen.
Feierlich erhebt er die Arme und betet. Die Beschwörung beginnt. Gegen die Zuschauer gewandt, ruft er „Ogun“ an. Die Kinder des Heiligen verneigen sich und antworten, mit den Händen klatschend, „Ogun“. In der Kreuzung steht der Cambone, der Gehilfe, er stimmt jetzt einen Gesang an. „Es macht die Runde St. Georg, wegen seines hohen Muts grüßen wir Ogun — Ogun!“ Bantu-Trommeln aller Art und Händeklatschen fallen ein. Ein neuer Gesang folgt. — „Gelobt sei Ogun — Ogun, unser Vater!“
Ich kenne die Musik, ganz Rio de Janeiro kennt sie. Der Vater beginnt, nachdem er die bösen Exus (Geister) durch Räuchern verabschiedet hat: mit der Beschwörung der Ahnengeister und dem Anruf der guten Götter. „Ahi-ahi-ahi!“ Die Hölle zittert von den grellen Schreien und dem Zusammenknallen der Hände.
Wen beschwören sie jetzt? Schießpulver wird angezündet. Nur im Qualm materialisieren sich die Dämonen. Wild und wilder erschallen die Gesänge. „Ahi-ahi-ahi!“ Schaurig, traurig, drohend ...
Mein Herz schlägt gegen die Rippen. Der Schweiß rinnt mir in den Mund, meine Nase zieht verzweifelt den Höllenduft ein. Ich wanke wie ein Berauschter. Die blutrote Fahne scheint zu tropfen.
Die Schauer schwellen an. Die
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!