6681048-1961_44_07.jpg
Digital In Arbeit

Am Gestade des Nichts

Werbung
Werbung
Werbung

Auf den Zinnen des altehrwürdigen, meerumspülten Convento der Franziskaner, Nossa Senhora da Penha, im brasilianischen Staate Espirito Santo, hatten wir den Einfall, im Anblick des Südlichen Kreuzes und der Gestirne der alten Heimat, die über den nördlichen Horizont schauen, dem ,,sechster Kontinent”, Südamerika, den Puls zti fühlen.

Seit vielen Jahren sind wir „alia- dos”. Doktor Shigemitsu ist der Gründer unserer Noturnos, der Nachtgespräche. Der Japaner hat als Chirurg einen Namen in Sao Paulo, mehr noch vielleicht als Verwandter des Tenno. Er praktiziert nicht mehr. „Ich habe mein Scalpellum den Himmlischen geweiht”, sagt er. Von Haus aus Shintoist, war die erste Frucht seines Studiums in Zürich und Berlin der Monismus. — Aus jener Zeit blieb mir die deutsche Sprache im „dütschen” Tonfall — und die Liebe zum Bier, würde er ergänzen.

Der Dritte im Vollmondschein: Sua Senhoria Jose Manoel Candido da Madre de Deus. (Des Raumes wegen nennen wir das niedliche Herrchen mit dem silbergrauen spärlichen Haar und dem schmalen Saum eines sehr zurückgeschnittenen Schnurrbartes kurz Manoel, gebraucht doch alle Welt in Brasilien den Vornamen.) So alt wie der Verfasser dieses Berichtes, 67, ist auch mein Freund, Träger hoher Würden und Titel, ein eminent gescheites Haus, und weiß doch nicht, wie groß sein Vermögen ist.

Wir drei bewundern und befehden und bedauern uns gegenseitig aufs heftigste. Die Milde des Vollmondes hilft uns nichts: was uns in den Ferientagen zusammenhält, ist die deutsche Sprache.

„Heute öffnen wir Ihnen den Thorax”, sagt der Japaner zu Manoel, als wir unter das Fenster des Pavillons treten. Der Tag ist drückend heiß. Eine steife Brise fegt über die uralten Bäume und die dicken Mauern. Raben schwarz liegt der Atlantische Ozean, Bosheit und Aufruhr atmend. Aus der Kirche dringt eine Orgelmelodie voll unsagbarer Verheißungen. Manoel fröstelt, er reibt sich die Hände warm. Ich trockne meine nasse Stirn.

„O mas belo templol Der berühmteste Wallfahrtsort Brasiliens”, ruft Senhor Manoel enthusiastisch aus, „vier Jahrhunderte schlafen hier! Ein bewunderungswürdiges Dokument der Glaubenskraft unserer damaligen Konquistadoren. Kühn und imposant wie Monte Cassino, Corvey, Melk. — Wieviel Europäer gibt es, die wenigstens den Namen dieser Abtei kennen? Wie?”

Nachdem wir uns auf den schweren alten Stühlen niedergelassen haben, führt uns der Silbergraue in in die Geburtszeit Brasiliens; es war wenige Jahre, bevor Luther in Wittenberg seine Thesen anschlug. Ma- noels Deutsch, das er an der Hand einer Wiener Gouvernante gelernt hat, folgt seinem geistigen Steilflug nicht, bald wechselt er in das geschmeidigere Portugiesisch. Unter seinen Hymnen auf „Brasil” verwandelt sich die Meeresnacht in goldschimmernde Morgenröte. Hochgetürmte Caravellas, das Kreuz auf den geblähten Segeln, tauchen aus dem leuchtenden Dunst. Der portugiesische Admiral Pedro Alvares Cabral entdeckt die „Terra da Santa Cruz”. „Es ist der 22. April 1500. Erste heilige Messe. Der Altar von den Seefahrern und Indios umlagert. Die Sonne enthüllt die Mysterien der unbekannten Schöpfung des neuen Glaubens. Lux ex Oriente!

Wissen Sie, daß Ignacio de Loyola selbst es war, der die Verkünder des Evangeliums nach Brasilien geschickt hat, Nobrega mit seiner tapferen Schar? Unserer Lieben Frau aber verdanken wir es, daß Brasilien heute die Gloria hat, die größte römisch-katholische Nation der Erde zu sein. Salve, Nossa Senhora!”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung