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Entweder Christus od

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Fast überhörte ich den Zwischenruf, er war nicht ganz unbegründet. „Aber die Langmut, das Gehenlassen, Mut-und Ratlosigkeit scheinen erschöpft zu sein“, entgegne ich. „Der Bischof von Gonaives auf Haiti hat gezeigt, wie man es macht. Er stellte seine Diö-zesanen vor die Entscheidung: Entweder bleibt ihr bei eurem Wodu, dem Negergott, und eurer Fetischmesse oder bei unserer Kirche. Und das Ergebnis? Von den 570.000 fielen zwar 525.000 von der Kirche ab. Daraufhin -stella-der Bischof den Katholikin, die,

Ausweis mit toigenoen Bedingungen aus: Sie mußten Wodu abschwören, die Grundwahrheiten des christlichen Glaubens kennen und den sonntäglichen Gottesdienst besuchen. Was geschah darauf? Das ganze Bistum von Gonaives verwandelte sich in eine Christenlehrschule. Jetzt erst, da die offizielle Zahl der Katholiken viel geringer ist, berichtete der Bischof, sind bei jedem Gottesdienst die Kirchen gefüllt und erweisen sich plötzlich als zu klein. Bei den hl. Messen finden eich drei- bis fünfmal so viele Teilnehmer als früher. Dabei blieb es nicht, er entfernte in den Kirchen viele Heiligenstatuen, ja in der Kathedrale steht überhaupt keine mehr. Die Anhänger des Wodu hatten auf einmal keine Götzenbilder mehr. Der Bischof in der benachbarten Diözese Port de Paix folgte diesem Beispiel. Und Rom ermutigte die Bischöfe. Ich warte immer noch darauf“, schloß Doktor Shigemitsu, „daß ein solches Ultimatum einmal in Brasilien gestellt werde.“

„Hoffentlich nicht“, sagte Senhor Manoel, „ein Jammer, ihr Ausländer kennt die brasilianische Seele nicht. Lateinamerika war doch in Rom bis zum zweiten Weltkrieg abgeschrieben. Verzeihen Sie das Wort! Jawohl, abgeschrieben. Nicht nur in Rom. Regen wir uns nicht auf! Was war Brasilien für die Abendländer? Im allgemeinen doch nur die letzte Zuflucht von Verbrechern, Abenteurern, Gestrandeten. Bis es zum zweitenmal entdeckt wurde.“

Fast unbemerkt hatte uns ein Klosterbruder ein Täßchen heißen Kaffees serviert. Erst jetzt bemerkten wir die frische Brise, die vom Meer heraufwehte. Manoel füllte zur Hälfte mit Zucker. Während er das Löffelchen bewegte, fuhr er fort:

Im Rausch der Zahlen

„Vergebens bemühen sich meine Freunde, den Spiritismus auf afrikanische Ebene herunterzudrücken. WaT-um denn? Sie sollen nicht in die Rolle eines Staatsanwalts fallen, bevor ich Ihnen die FEB, das ist die Brasilianische Spiritistische Föderation, vorgestellt habe, als die künftige Religion Brasiliens, jenes Imperiums

„Töchter“ fallen in Raserei, sie taumeln in tausend Verrenkungen, ihr langes Haar wallt über die glühenden Gesichter. Schaum tritt auf ihren dicken Mund. Im Rausch erblassen die Lichter. Gestalten werden zu Gespenstern.

Ich stürze in die Nacht hinaus. Wahnsinn! Wahnsinnl

Unser letzter Ferienabend im Konvent „N. S. da Penha“, zur hl. Jungfrau vom Felsen.,

Wir müssen uns vorsehen, meinte unser japanischer Freund, daß Senhor Manoel nicht das Schlußwort erhält zu einer flammenden Apotheose seiner Geister.

Befriedigt vernimmt Sr. Manoel aus dem Munde des Japaners, in Mittelamerika beherrsche der christliche Paganismus (Heidentum) das kirchliche Leben noch viel stärker als hier. „Die altindianischen Gottheiten haben sich dort behauptet. Wer wundert sich, daß es dort fast keine Priesterberufe gibt? Luzifers Wirklichkeit ist dort hautnahe. Die Menschen beten ihr Libera nos malo! Wer denkt dabei an den Teufel? Mein alter shintoistischer Glaube ließ mich wenigstens die Übernatur ahnen, aber hier existiert sie nicht.“

„Über all dem geben doch die Bischöfe ihren Segen, warum nicht?“ er Wodu der Geister, das einmal das Herz der Menschheit sein wird. Vielleicht ist meinen Freunden bekannt, daß unsere Föderation mehr als eine Million Mitglieder hat. Die Armee ist stark vertreten. Einer ihrer prominenten Spiritisten ist, wie ich verraten darf, Marschall Lott, der frühere Kriegsminister.“

„Es ist keine Phantasie“, fuhr er deutsch fort, „vielmehr eine simple Schätzung: Im Jahre 2000 werden die Vereinigten Staaten von Brasilien ihre iOO MllioneniüSlekn zäWen. heute %ckpn.,iind s-7.tilliJR!ft #iA wohl gelesen haben. Von den 100 Millionen Brasilianern, meine lieben Freunde, werden mindestens 50 Millionen erklärte Spiritisten sein. Hier bitte, unsere FEB gibt soeben die 42. Auflage (370.000 Stück) von unserem .Evangelium nach dem Spiritismus' heraus; ,Das Gebet' in 24. Auflage (385.000); ,Das Buch der Geister' in 25. Auflage (190.000). Auf rund 500.000 Exemplare stiegen andere kleinere Schriften. Total: 1,445.000 Stück. Das sind, meine Herren, mehr spiritistische Bücher in Brasilien, als alle übrigen Völker der Erde herausgegeben haben.“

Universalkirche. Ja, wir haben mächtige Alliierte, verstehen Sie? Gott sei Dank. Können Sie mir, bitte, solche Daten aus Ihrer römisch-katholischen Kirche irgendwo in den lateinamerikanischen Ländern melden?“

Nein, mit solchen Daten konnten wir nicht aufwarten. Es war, zugegeben, nicht zur Sache gesprochen, wenn ich erwiderte, es seien ohne Zweifel Riesenschritte, und fast könnte ich ihm beipflichten, es gehe dabei nicht mit rechten Dingen zu. Doch Riesenschritte seien nicht unbedingt Fortschritten gleichzusetzen. Ich fuhr fort: „Währenddem ihr in euren Zirkeln Pompadour, Kaiser Pedro IL, Getulio Vargas anruft und einen Hokuspokus treibt, toben in den brasilianischen Irrenanstalten eure Bundesbrüder und Bundesschwestern ihr Delirium aus. Darüber berichten selbstverständlich eure Gazetten nichts. Verschwiegen wird auch, daß fast zehn Prozent aller Verrückten spiritistischen Praktiken ihre geistige und seelische Zerrüttung verdanken.“

Das war zuviel für Sr. Manoel Can-dido Madre de Deus. Er stand auf. Eine hochmütige Miene wandte sich uns zu, er rief: „Wollen Sie mich beleidigen?“ Es war ein scharfes Portugiesisch. Ich entgegnete nur: „Was wollen Sie? — Fatos, amigo, Tatsachen!“

Nachwort

Am folgenden Morgen klopfte Dr. Shigemitsu an meine Zelle: „Haben Sie die Todeskälte eines Besessenen gespürt?“

Ich hatte sie gespürt, sie hatte mich um den Schlaf gebracht. Armer Manoel! Die Welt ist voll von solchen Manoel. Armes Volk! In den ersten Jahren meines Farmerlebens im Lirwald von Rio do Peixe begleitete ich als Ministrant, Sakristan und „Doktor Eisenbart“ unseren Pater zu den Ka-peHsmarfFaigelange fftittef ätofeihKartp unf M-g# Ungeziefer,- Sehäansen. Ausgedörrte Kehlen. Ein Jammer, tliese Caboolos. Sie wissen nichts von Gottes Liebe. Das Riesenkreuz neben ihrer Lehmhütte vertreibt die bösen Geister. Mein Maulesel trug mich von Station zu Station, auf einem Kreuzweg, der fühlbar nahe über den Abgrund ücr Passion, der Vereinsamung, der Verlassenheit des Herrn führt. Kapellen, ohne das Ewige Licht. Latein der Taufe und Hochzeit. Sterben muß er allein. Und in den Millionenstädten braust das Karussell der Lebensgier, der tausend Dämonen.

Unsere Liebe Frau vom Felsen, erbarme dich unser!

Sr. Manoel hatte jede Silbe betont. Nach einem triumphierenden Blick auf uns fuhr er fort, abzulesen. „Wir haben 8 Verlage, 18 Tages- und Wochenzeitungen, 362 Schulen, 74 Krankenhäuser und Asyle, 74 Radiostationen — und anderes mehr.“ Nach einer Pause für eine neue Zigarette: „Meine Herren, das ist das Wachstum einer

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