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Stimmen hinter dem Vorhang

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Vor kurzem weilte der russische Pianist Prof. Serebrjakow in Wien und gab hier einen Klavierabend. Nach der Rückkehr in seine Heimat hat der — wie man hört — einflußreiche Künstler und Pädagoge in der Zeitschrift „Sowjetskaja Kultura“ einen Bericht über seine musikalischen Eindrücke in Wien veröffentlicht. Als „völlig würdig des Ruhmes dieser Stadt“ bezeichnet er „das hervorragende Orchester der Wiener Philharmoniker“ und schreibt wörtlich: „Ich war schon in vielen Ländern, habe aber nur ziemlich selten ein Orchester von so hoher Klasse kennengelernt.“ Ueber eine Aufführung der „Z a u b e r f I ö t e“ im Theater an der Wien urteilt er: „Das Orchester klang durchsichtig und gleichzeitig doch klar. Die Sänger verkörperten mit echtem Stilgefühl die Gestalten dieses überaus schwierigen Werkes … Die Inszenierung wurde mit einfachen, aber eindrucksvollen Mitteln, mit künstlerischen Feinheiten und frischen Farben durchgeführt.“ Das Beethoven-Spiel des Pianisten Friedrich Gulda, der sich „von der virtuosen Seite der Werke allzusehr mitreißen läßt“, wird ein wenig kritisiert, dagegen bot ihm der Chor der Wiener Sängerknaben „großes künstlerisches Interesse“ und hinterließ „starken Eindruck“.

Nun, mit dem Lob der Philharmoniker und der Wiener Staatsoper sowie einzelner Künstler, die in dem Bericht außerdem genannt werden, sagt uns Prof. Serebrjakow nichts Neues. Ueberraschend — und erfreulich — erscheint uns, daß er so schreiben darf. Es ist also nicht alles minderwertig und dekadent, was im Westen geleistet wird. Diese sachlich-anerkennenden Aeußerungen des russischen Künstlers rücken in ein helleres Licht, wenn man danebenhält, was fast gleichzeitig die Komponisten Dimitri Schosta- kowitsch und Aram Chatschaturian in sowjetischen Zeitungen an führender Stelle geschrieben haben. Chatschaturian polemisiert gegen die „öden Geräuschfolgen“, die während der letzten sechs Jahre in der UdSSR als musikalische Kompositionen ausgegeben worden seien und vermerkt boshaft, daß die Begeisterung der Massen für die Art der ihnen gebotenen musikalischen Unterhaltung beträchtlich nachgelassen habe; es sei in gewissem Sinn sogar zu einem „Schwarzhandel mit verbotener kapitalistischer Musik“ gekommen. Und Schostakowitsch bekundete in einem Interview mit einem UP-Korrespon- denten offen seine Vorliebe für den amerikanischen Komponisten George Gershwin sowie sein Interesse für die Werke Gian Carlo Menottis. Für „besonders talentiert“ hält er auch den englischen Komponisten Benjamin Britten, dessen Oper „Peter Grimes“ er kennt.

Wir lesen — und staunen! Denn gerade Schostakowitsch und Chatschaturian, zusammen mit dem zu früh verstorbenen Sergej Prokofieff, waren es, die schon einige Male, zuletzt und in schärfster Form 1948, wegen „bürgerlicher Dekadenz und konterrevolutionären Gedankengutes“ getadelt und gemaßregelt wurden. Jetzt dürfen sie ihre Stimme erheben und sich zur Freiheit der Kunst bekennen …

Und zur gleichen Zeit rufen ihre Berufs und Gesinnungsgenossen in Wien nach dem „Musikbeirat“, polemisieren gegen die Aufführung „ausländischer Komponisten recht einseitiger Art, die auf das Publikum besonders abschreckend wirken“ und wenden sich gegen die Verleihung des Musikpreises der Stadt Wien „an einen Ausländer“ (gemeint ist der in Oxford lehrende Oesterreicher Egon Wellesz).

Sollten etwa unsere heimischen „Marxisten“ nicht ganz auf dem laufenden sein? Der Kampf gegen Formalismus und Ausländerei scheint in Rußland aus der Mode zu kommen; und wir fürchten für sie, daß sie eines schönen Tages als „Feinde des Fortschritts“ von jenen getadelt werden, deren Sache sie hier zu führen meinen!

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