6586618-1951_50_11.jpg
Digital In Arbeit

Tausend Filme hätten, wären, würden...

Werbung
Werbung
Werbung

Dies ist — so erzählt der neue österreichische Film „Der schweigende Mund“ — die Geschichte von einer Frau, die auf seltsamen Umwegen den Sinn ihrer Ehe entdeckt In Abwesenheit des um vieles älteren Gatten, eines korrekten, äußerlich ruppigen, innerlich sehr empfindsamen Anwalts, zu dem sie nach unruhigen Nachkriegserlebni6sen ohne eigentliche Liebe, gleichsam nur in die bürgerliche Sicherung geflüchtet ist, scheint ihr das Schicksal auch lichtere, leichtere Seiten des Lebens zu eröffnen. Aber der jüngere Mann, den sie kennenlernt, ist nur ein StichwortbringeT für eine dunkle Episode — einen Mordfall —, in der die Frau lange schwankt, nicht nur als Kronzeugin des Untersuchungsfalles, sondern auch als Gattin des Gatten, den sie durch ihr Schweigen, dann durch ihr Reden zu zerbrechen droht. Und an diesem Punkte hätten tausend Filme kapituliert und den alten Mann im obligaten Scheidungs-Happy-End dem jüngeren Paar geopfert. „Der schweigende Mund“ tut er nicht. Die Frau steht letztlich zu dem älteren Gatten. Es wird auch für-derhin kein Honigmond 6ein. Aber vielleicht wird der schweigende Mund in Hinkunft die bitteren Falten eines selbstgefälligen Sich-geopfertfühlens abtun und den stolzeren, strengen Zug einer hohen menschlichen Pflicht und Sühne tragen. Um dieses Schlusses willen — auch sonst hält der Film ungewöhnliches Niveau — Dank und Anerkennung: dem Regisseur Karl Hartl, dem kultivierten Ensemble und nicht zuletzt dem österreichischen Vertrieb der „Styria“, deren moralisches Debetkonto des Jahres (durch die „Sünderin“) mit dem „Schweigenden Mund“ um ein bedeutendes abgeschrieben wird. Wir vertrauen auf die Besucher, daß es im Kas6ensaldo nicht umgekehrt geschieht.

Da ist er wieder, der schwärmerische Träumer, der Peter Münk, ein Märchenkind Wilhelm Hauffs, Bruder Dorian Grays und des „Student von Prag“, der sein heißes armes Köhlerherz an den Dunklen eintauscht gegen das kalte eines brutalen Pfeffersacks und Leuteschinders, es am Schlüsse aber von der lichten Macht wieder zurückerbittet und gewinnt. Tausend Filme wären der Versuchung unterlegen, aus diesem Märchen einen billigen Buden- und Masdiinenzauber zu machen. Der ostdeutsche DEFA-Film „Das kalte Herz“ tat es nicht. Eine phantastische Inszenierung Paul Verhoevens! Zauberhafte Aufnahmen (Agfacolor) aus dem Sdiwarz-wald, klare, saubere, junge Darsteller, verblüffende Tricks — vor allem aber ein warmes, menschliches Herz und bündige, anständige Fragen und Antworten.

Tausend Filme würden aus Fontanes „Frau Jenny Treibel“, der neureichen Frau Kommerzienrätin und Fabrikantensgattin aus der deutschen Gründerzeit — Gründerin der Katastrophen des 20. Jahrhunderts — entweder das Novellistisch-Gartenlaubische oder das Bissige der Sozialkritik einseitig herauslesen. Der ostdeutsche DEFA-Film

„Corinna Schmidt“ tut es nicht. Er hält die wohlerworgene Mitte und gibt mit anspruchsvollen Mitteln ein fesselndes Bild von hoher, anständiger, sozialistischer Gesinnung.

Tausend Filme der Nachkriegsproduktion hätten wir ohne Verlust entbehren können. Dennoch: es wären drei weiße Raben. Wir würden sie ungern missen. Roman Herle

F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich) Nr. 49 vom 4. Dezember 1951: II (für alle zulässig): „Nacht am Montblanc“; III (für Erwachsene und reifere Jugend): „Melodie des Lebens“, „Das kalte Herz“, „Der schweigende Mund“; IV (für Erwachsene): „Die schwarze Natter“; IVa (für Erwachsene mit Vorbehalt): „Die Dubarry“; IV b (für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Schlingen der Angst“, „Verfemt“; VI (abzulehnen): „Ma n o n“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung