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Theater von vorgestern

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Was Anouolh in seinen Stücken vorführt, erklärte Adamov, begebe sich beim Nachbarn, es gehe nie uns selber an. Aber die in der Gegenwart spielenden Begebnisse in Anouilhs Stück „Die Probe oder Die bestrafte Liebe“ — derzeit aufgeführt im Theater in der Josefstadt — ereignen sich nicht beim Nachbarn, sondern bei gräflichen Herrschaften, Müßiggängern, die nichts als ihr Vergnügen kennen, womit eine versunkene Gesellschaftsschichte reaktiviert und völlig einseitig dargestellt wird. Bin überaus antiquiert wirkendes Stück entsteht, man kann es auch als bourgeoises Theater von vorgestern bezeichnen.

Graf und Gräfin geben sich gegenseitig frei, er hat eine Geliebte, sie einen Geliebten. Das erotische Gleichgewicht wird gestört als bei einer Probe zu einem Stück von Marivaux, das als Liebhaberaufführung dargeboten werden soll, für eine der Hauptrollen Lucile, das Mündel des gräflichen Vermögens-verwalters, eingesetzt wird. Der Graf verliebt sich in sie, aber das Mädchen, von einem Säufer durch eine Lüge über den Geliebten zu Fall gebracht, flieht. Man soll da nicht von bitterer Weltanschauung sprechen, das ist MarMtt-Kitsch: ein Schloß, das libertine Grafenpaar, ein unberührtes Mädchen, die große Liebe, die schäbig-primitive Intrige der Gräfin, die Schurkerei des versoffenen Bösewichts. Nur mündet das letztlich nicht in holdseliges Glück. Im übrigen wirkt die Hauptszene zwischen dem arglosen Mädchen und dem Säufer völlig unglaubwürdig. Die paar trefflichen Bonmots und Apercus ändern an alledem nichts.

Der Regisseur Dietrich Haugk bietet das Stück viel zu gewichtig dar, feierliche Barockmusik von Albinoni, die er immer wieder einsetzt, steigert das noch. Die Schwächen des Stückes werden so verfcraßt. Vorzüglich schauspielerische Leistungen bieten Karlheinz Böhm und Ursula Lingen als Graf und Gräfin, Marianne N entwich bleibt als Lucile ohne Ausstrahlung. Kurt Heintel spielt den Säufer dermaßen überzeugend widerwärtig, daß er so recht das Unglaubwürdige der entscheidenden Szene entlarvt. Daphne Wagner als Mätresse: Die Tochter von Wieland Wagner zu sein, sollte nicht genügen, um an die „Josefstadt“ geholt zu werden. Das milieugerechte Bühnenbild stammt von Roman Weyl.

Stücke veralten, ihre Schwächen werden mit der Zeit immer sichtbarer. Das gilt auch für Ibsens Schauspiel „Rosmersholm“, das derzeit wieder im Volkstheater aufgeführt wird, wo es 1893 erstmals in Wien dargeboten wurde.

Im Jahr 1871 hatte Ibsen an Brandes geschrieben, er wünsche ihm einen „richtigen Vollblutegoismus“. Befürwortete er damit einen schrankenlosen Individualismus, so fand später eine Umkehr von dieser beinahe brutal ichbetonten Einstellung statt. Er forderte im Jahre 1885 in einer Rede im Verein Drontheimer Arbeiter, es müsse ein „adliges Element in unser Staatsleben“ kommen, er denke an den „Adel des Charakters, an den Adel des Willens und der Gesinnung“. Ein Jahr darnach war „Rosmersholm“ entstanden.

Mit wahrem Fanatismus versucht hier Ibsen darzustellen, wie ein — verwenden wir das Wort — „adeliger“ Mensch in einem anderen, der schuldig wurde, die Erkenntnis der Schuld und ihrer Folge die frei gewählte Sühne bewirkt. Er versucht es, aber es überzeugt heute noch weniger als früher. Pastor Rosmer ist dieser Sanfte, Tugendhafte, die vehement selbstsüchtige Rebekka, die freundschaftlich bei ihm lebt, hat dessen Gattin in den Selbstmord getrieben, um ihre Stelle einzunehmen. Wir sollen nun glauben, daß in ihr einfach durch die Wesensart des Pastors eine Umkehr stattfindet, worauf beide in den Tod gehen.

Das ist aber nur eine leidenschaftlich gehegte Wunschvorstellung Ibsens, man spürt die Absicht, mit der er die beiden Gestalten um der sittlichen Tendenz willen in den Tod treibt. Auch den Pastor. Schon Hermann Bahr hat sich im Jahr 1905 einen anderen Rosmer gewünscht, der mit seiner Rebc'-ka weiterlebt, „weil er nicht glaubt, daß jemals eine Schuld durch den Tod gesühnt werden kann, sondern nur durch ein anderes Leben“. Nach dem Tod von vielen Millionen Menschen in unserem Jahrhundert, den verbrecherische Politiker verursacht haben, finden wir dieses Ende noch weniger gerechtfertigt als es schon Hermann Bahr vorsichtig andeutete. Der großartige Aufbau des Stückes bleibt allerdings bewundernswert.

Das dichte Motivengewebe, das allerdings an der entscheidenden Stelle reißt, arbeitet Güstau Man-ker als Regisseur trefflich heraus. Hanns Krassnitzer gibt dem Rosmer

glaubhaft die Milde, das innerlich Vornehme. Rebekka ist mit Hilde Sochor fehlbesetzt. Eine vollrunde Gestalt bietet Herbert Propst als Rektor Kroll, als aufgebrachter politischer Spießer. Die Randfiguren zeichnen Egon Jordan, Ernst Meister und Maria Englstorfer. Georg Schmid schuf die formklaren Bühnenbilder.

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