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Thomas Becket predigt im Dom am Weihnachtsmorgen des Jahres 1170

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„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede aut Erden den Menschen, die guten Willens sind." Der vierzehnte Vers im zweiten Kapitel des Evangeliums nach Sankt Lukas. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen,

Liebe Kinder Gottes, meine Predigt am heutigen Weihnachtsmorgen wird sehr, kurz sein. Ich wünschte nur, ihr erwäget in euren Herzen die tiefe Bedeutung und das Geheimnis unserer Weihnachtsmessen. — Wo immer Messe gesungen wird, erneuern wir die Passion und den Tod unseres Herrn; und heut, am Weihnachfstag, tun wir das, um Seinen Geburtstag zu feiern. Also, dafj wir zur selben Stunde frohlocken über sein Kommen für die Erlösung der Menschen und wiederum Gott sein Fleisch und Blut zum Opfer bringen, Darbietung und Genugtuung für die Sünden der ganzen Welt. Grad heut Nacht ist es geschehen, daß die Menge der himmlischen Heerscharen den Hirten zu Bethlehem erschien und sprach: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind." Und es ist diese Stunde von allen im ganzen Jahr die, in der wir zugleich die 'Geburt unsres Herrn feiern und Seine Passion und Seinen Tod am Kreuz. — Geliebte, in den Augen der Welf heifjt das ein seltsames Verhalten. Denn wer in der Welt möchte beides zugleich, trauern und frohlocken, und dos aus demselben Anlaß? Entweder wird doch die Freude durch die Trauer überwogen, oder die Trauer wird durch die Freude verdrängt werden; so ist es denn allein anläßlich dieser unsrer christlichen Mysterien, dafj wir aus ein und demselben Grunde zugleich frohlocken und trauern dürfen; —r Nun denkf für einen Augenblick an die Bedeutung dieses Wories: „Friede." Dünkt es euch nicht seltsam, dafj die Engel Frieden verkündigt haben, wo doch die Welf unaufhörlich heim- gesucht wird durch Krieg und Kriegsgefahr? Dünkt es euch nicht, dafj die englischen Stimmen im Irrtum waren, und dafj das Versprechen eine Täuschung und ein Betrug war?

Nun überlegt euch, was unser Herr selber vom Frieden gesagt hat. Er hat zu Seinen Jüngern gesagt: „Meinen Frieden lasse Ich euch, Meinen Frieden gebe Ich euch." Verstand Er darunter einen Frieden, wie wir ihn verstehen: Das Königreich England in Frieden mit seinen Nachbarn, die Landherren in Frieden mit dem König, der Hauswirt, seinen friedsamen Gewinn überschlagend, der Herd gefegt, der beste Wein auf dem Tisch für einen guten Freund, während die Frau die Kinder in den Schlaf singt? — Jene Männer, Seine Jünger, kannten derlei nicht. Sie gingen auf weite Reisen, durch Mühsal, zu Wasser und zu Land, um Tortur, Gefangenschaft, Anfechtung zu erdulden und schließlich den Morterfod zu leiden. Was mag Er denn wohl gemeint haben? Wenn ihr das fragt, so bedenkt, daß Er also gesprochen: „Nicht gebe Ich euch, wie die Welf gibt." So gab Er denn Seinen Jüngern Frieden, aber nicht Frieden, wie die Welf ihn gibt.

Bedenkt also eine Sache, über die ihr wahrscheinlich früher nie nachgesonnen habt. Wir feiern am Weihnachtsfest nichf nur die Geburt und den Tod unsres Herrn, sondern am nächsten Tag feiern wir das Martyrium Seines ersten Blutzeugen, des heiligen Stephanus. Meint ihr nun, es ist ein Zufall, daß der Tag des ersten Märtyrers unmittelbar auf den Geburtstag Jesu Christi folgt? Das ist nun keineswegs Zufall. Just, wie wir anläßlich der Geburi und der Passion unsres Herrn zugleich frohlocken und trauern, so frohlocken und trauern wir in geringerem Maße ebenfalls zugleich über den Todestag der Blutzeugen. Wir trauern über die Sünden der Welt, die sie gemartert hat, wir frohlocken, weil wiederum eine Seele gezählt ward unter die Heiligen des Himmels, zum Ruhme Gottes und zur Seligmachung der Menschen.

Geliebte in dem Herrn, wir denken an einen Märtyrer nichf bloß als an einen guten Christen, der getötet worden ist, weil er ein Christ war. Wir denken an ihn nicht bloß als an einen guten Christen, der erhöht worden ist in die Gemeinschaft der Heiligen: Denn das würde nur Frohlocken sein, und weder unsre Trauer noch unser Frohlocken sind die der Welt. Ein christlich Martyrium ist niemals ein zufälliges Geschehen, denn der Zufall macht keine Heiligen. Noch weniger wird ein christliches Martyrium durch den Willen eines Mannes herbeigelührf, der ein Heiliger werden will, etwa wie ein Mensch, der will und sich Mühe gibt, ein Herrscher über Menschen werden kann. Ein Martyrium ist immer Gottes Absicht, entsprungen aus Seiner Liebe zu den Menschen, um sie zu warnen und zu leiten und sie wieder auf Seinen Weg zurückzuführen. Es ist niemals die Absicht eines Mannes; denn der rechte Märtyrer ist jemand, der Gottes Werkzeug geworden ist, der seinen eigenen Willen an Gottes Willen verloren haf, und der nichf länger irgend etwas für sich wünscht, nicht einmal den Ruhm, ein Blutzeuge zu sein. Darum also trauert die Kirche auf Erden und frohlockt zugleich auf eine Art, die die Welf nichf begreifen kann; so sind auch im Himmel die Heiligen am höchsten erhöht, weil sie sich selbst am tiefsten erniedrigt haben, und sind angesehen, nicht wie wir sie sehen, sondern im Licht der Gottheit, aus dem sie ihr Sein haben.

Ich habe zu euch, ihr lieben Gotteskinder, heute von den Blutzeugen der Vergangenheit gesprochen und euch gebeten, besonders unsres Blutzeugen von Canterbury zu gedenken, des heiligen Erzbischofs Elphegius, weil es sich an Christi Geburtstag gehört, daran zu denken, was das für ein Friede sei, den Er gebracht hat, und weil, liebe Kinder, mich nichf dünkt, ich werde je noch einmal zu euch predigen; und weil es möglich ist, daß ihr in Bälde noch einen Blutzeugen mehr haben werdet, und daß auch der vielleicht nicht der letzte sein wird. Ich möchte, ihr bewahret diese Worte, die ich rede, in euren Herzen und dächtet zu einer anderen Zeit an sie.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Aus „Mord vor der Kathedrale“, Amandus-Verlag

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