7121792-1996_39_23.jpg
Digital In Arbeit

Tränen- Training

Werbung
Werbung
Werbung

Lachen ist bekanntlich gesund. Erstens körperlich, weil die Gesichtsmuskeln durch Gelächter heilsam massiert und entspannt werden. Und zweitens seelisch, weil Gelächter Depressionen vertreibt und das psychische Gleichgewicht fördert.

Da aber heutzutage vielen Leuten das Lachen und die damit verbundenen gesundheitlichen Vorteile vergangen sind, gibt es Institutionen zum Wiedererlernen und zur Pflege des Lachens. In einem mehrtägigen Lach-Seminar kann der allzu ernste oder traurige Zeitgenosse vom zarten Lächeln bis zum wiehernden Gelächter seine Lachmuskeln trainieren. Ich war noch in keinem solchen Seminar, aber ich möchte gerne wissen, wie die Psycho- und Soziologen, die diese Marktlücke entdeckt haben, das anstellen. Tagelang Witze erzählen kann es doch nicht bloß sein. Die Clown-Kunst des Grimassenschneidens gehört in den Zirkus und ist der Wissenschaft nicht würdig. Es muß also doch ein besonderer Trick sein. Übung macht den Meister. Beamtete Schaffner haben meistens keine Übung, aber zum Beispiel die Stewardessen freundlicher Fluglinien haben zumindest eine Andeutung von Lächeln auf den trainierten Lippen. Im fernen Osten ,ist diese Kunst als Höflichkeitsform weit verbreitet. Der sparsame Europäer, der sich kein Seminar leisten kann oder will, kauft sich in einem Geschäft für Scherzartikel einen sogenannten Lachsack, der ihm akustisch so lange etwas vorlacht, bis er ihn entweder an die Wand wirft oder sich von dem Lach-Geschepper anstecken läßt. Denn das ist ja noch die sicherste Methode: von einem Lachenden zum Lachen anstecken lassen. Das geht bis zu den christlichen Werken der Barmherzigkeit: Ich war traurig, und du hast mich lachen gelehrt. Der grämliche Nietzsche hat das ja schon bei den erlösten Christen so vermißt.

Das Lach-Defizit unserer Tage ist aber nur die eine Seite der großen Gefühlsverdrängung. Wir haben ebenso die bereits wissenschaftlich untersuchte Unfähigkeit zu trauern. Männer dürfen nicht weinen - und da die Frauen bekanntlich die Gleichberechtigung anstreben, haben auch sie den einst so dramatisch fließenden Tränenstrom demonstrativ abgestellt. Wir meinen, das sei ein Fortschritt und verwechseln die Ursachen der Trauer mit ihrer drüsenhaften Wirkung. Denn Anlaß zu Trauer und Verzweiflung gibt es genug. Darüber weinen zu können schafft ebenso viel Erleichterung wie das Gelächter. .

In den byzantinischen und orientalischen Kulturen gibt es noch heute die bei uns längst abgeschafften Tränen-Erleichterungen in Form der institutionellen Klageweiber. Gar so heuchlerisch wie wir in aufgeklärter Überlegenheit meinen, ist dieses Brauchtum nicht. Manchmal täten uns auch hierzulande ein paar professionelle Heuler not. Damit wir unsere Tränen, wenn schon, nicht an TV-Seifenopern vergeuden, in denen den schicksalsgebeugten Hauptdarstellern das Glyzerin über die Wangen rollt.

Um dem echten Tränen-Mangel abzuhelfen, gibt es auch schon Trauer- und Tränen-Seminare. Es ist ja immerhin bemerkenswert, daß es in der neudeutschen Sprache zwar die Trauer-Arbeit, aber nicht die Freuden-Arbeit gibt. Zu trauern ist also zweifellos noch anstrengender als zu lachen.

Ich stelle mir ein psychologisches Institut vor, welches, die Zeichen der Zeit erkennend, ein Lach- und Tränen-Seminar im Kombipack mit 20 Prozent Rabatt anbietet. Erlernbar und trainierbar ist alles. Die Mienen der Leichenbestatter sind ja auch nicht angeboren, sondern angelernt.

Die junge Generation, die mit dem Modewort „cool" eine gespielte Gefühlskälte zum Programm erhoben hat, wird hoffentlich nicht des Tränengases bedürfen, um ihre verkümmerten Drüsen anzuregen. Immerhin besteht für emanzipierte Jungmänner beim Zwiebelschneiden in der Küche die Chance einer heimlichen Übung. Denn daß wir künftig für alles, was ehedem heilsam und selbstverständlich war, Institute und Seminare brauchen, das verleiht dem Leben eine aufwendige Kompliziertheit, die zum Weinen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung