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Trost im Leid

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Meine Frau bewahrt in ihrem Schatzkästlein einen Brief, den sie als Kind von ihrem Vater, dem Dichter Hermann Sudermann, erhielt. Er hatte sie mit 14 Jahren nach Weimar in ein Mädchenpensionat gegeben, daimit sie früh die geistige Tradition dieser Stadt aus eigener Erfahrung kennenlerne. Wenn ich diesen bisher unveröffentlichten Brief hier folgen lasse, ist es erforderlich, in kurzen Zügen die kleine Vorgeschichte zu skizzieren, die die Veranlassung zu den väterlichen Ratschlägen war. Der Brief spiegelt zugleich eine wesentliche Seite des Dramatikers wider und läßt erkennen, wie er sich bei Abfassung seiner Fingerzeige in die Gedankengänge der „handelnden Personen“ vertieft und ihnen aus seiner Perspektive einen Sinn gibt. Das Heimweh des vereinsamten Kindes, das zum erstenmal das Elternhaus entbehren mußte, sollte sich qualvoll vertiefen, als es sich mit seinen beiden Stubenkameradinnen nach anfänglicher Mädchenfreundschaft hoffnungslos zerstritt. Innerlich zerbrochen, schilderte sie ihren Eltern die „fürs Leben zerstörte Freundschaft“ und erhielt nun vom Vater diesen belehrenden Brief, der über den Anlaß hinaus Beachtung verdient. Der Brief lautet folgendermaßen:

„...Die üble Erfahrung, die Du mit Deinen beiden Freundinnen machen mußt, ist wohl der erste harte Schmerz, den das Leben Dir beschert, und Du mußt ihn tragen, tapfer und lächelnd, als ob nichts geschehen wäre. Andere viel, viel härtere werden folgen — und dann wirst Du auch tapfer sein und lächeln müssen.

Solche Stundien, wie Du sie jetzt durchleben mußt, sind ein Segen, denn sie stählen und machen stark für die wirklichen Leiden, die einst kommen werden und die keinem, auch dem Glücklichsten, nicht erspart bleiben. Solche Stunden sind auch Lehrstunden, mein Liebling, geradeso wie Kunstgeschichte und deutscher Aufsatz. Sie lehren Dich Menschen taxieren und Dein junges, warmes Herz nicht rasch und wahllos verschenken. Sie lehren Dich, nicht allzu viel von denen zu verlangen, denen Gelegenheit und Umgang Dich zugesellen und aus den Menschen nur das für Dich zu gewinnen, was sie ihrer Natur nach zu geben vermögen. Denn zwischen Mensch und Mensch gibt es oft un-übersteigliche Scheidewände — die Verschiedenheit der Neigungen, des Naturells, der Erziehung und der tiefinnersten Ansprüche an sich und) das Leben hat sie gezogen. Ihr jungen Mädel, schließt Euch leicht aneinander an — nennt Euch Freundinnen und seid es auch —, bis zu dem Augenblick, da jene natürlichen Verschiedenheiten ans Tageslicht kommen. Darum mußt Du jenen beiden auch nicht allzu gram sein. Sie haben gewiß ineinander mehr Gemeinsames gefunden, als Du ihnen — vielleicht glücklicherweise! — zu bieten vermochtest, und darum haben sie sich enger aneinandergeschlossen und Dich Dir selber überlassen.

Und dieses innerliche Sich-selbst-überlassen-Sein hat auch seine guten, seine wohltätigen Seiten. Der schönste Reiz des Lebens besteht in den Wechsel von Gemeinsamkeit und Einsamkeit. Mit Freuden habe ich bemerkt, daß Du einsam zu sein verstehst. Manche flach oder unruhig Veranlagte ertragen es ganz und gar nicht und müssen immer Gesellschaft haben. Du bist — Gott sei Dank! — dieser Notwendigkeit enthoben und verstehst es wohl, aus dem inneren Alleinsein Liebes und Köstliches herauszuholen. Nun, mein Liebling, pflege diese Kunst jetzt, da die Verhältnisse es zu fordern scheinen. Sei nicht grantig und unwillig Deinen ehemaligen Freundinnen gegenüber — das würde ihnen ein Triumph sein —, im Gegenteil, sei freundlich und dienstwillig, als ob nichts geschehen wäre, und als ob Du sie nicht im mindesten entbehrtest. Weise aber natürlich jede Wiederannäherung — es sei denn, daß sie aufrichtige Reue fühlten — mit kühler Gelassenheit zurück.

Du wirst sehen, so kommst Du am besten über diesen Kummer hinweg ...“

Erwähnt sei noch, daß die drei miteinander zerfallenen Freundinnen bald wieder eng zusammenhingen und sich diese Freundschaft auch im späteren Leben bewahrt haben.

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