6774926-1969_18_13.jpg
Digital In Arbeit

US-Alptraum

19451960198020002020

Der sechzigjährige, im Kaukasus geboreneArthur Adamov zählt mit Beckett, Genet und Ionesco zu den Erneuerern des französischen Theaters der fünfziger Jahre. 1967 versuchte er nach langem Schweigen sein Comeback mit „La politique des restes“ und ein Jahr später mit „M le Modere“. Bislang haben alle seine sozialkritischen Stücke an dramaturgischen Schwächen gelitten, so daß sich kein breites Publikum einfinden wollte. Adamov traf das um so tragischer, als für ihn Schreiben eine moralische Notwendigkeit, eine Zuflucht ist und ihm das eigene Weiterleben sinnvoll macht — das geht aus seinen 1967 erschienenen Erinnerungen und Tagebuchblättern „L'Homme et l'enfant“ eindeutig hervor. Aus dieser Sicht ist sein letztes Stück „Off Limits“ zu verstehen, dessen Uraufführung kürzlich in Aubervilliers am Pariser Stadtrand erfolgte.

19451960198020002020

Der sechzigjährige, im Kaukasus geboreneArthur Adamov zählt mit Beckett, Genet und Ionesco zu den Erneuerern des französischen Theaters der fünfziger Jahre. 1967 versuchte er nach langem Schweigen sein Comeback mit „La politique des restes“ und ein Jahr später mit „M le Modere“. Bislang haben alle seine sozialkritischen Stücke an dramaturgischen Schwächen gelitten, so daß sich kein breites Publikum einfinden wollte. Adamov traf das um so tragischer, als für ihn Schreiben eine moralische Notwendigkeit, eine Zuflucht ist und ihm das eigene Weiterleben sinnvoll macht — das geht aus seinen 1967 erschienenen Erinnerungen und Tagebuchblättern „L'Homme et l'enfant“ eindeutig hervor. Aus dieser Sicht ist sein letztes Stück „Off Limits“ zu verstehen, dessen Uraufführung kürzlich in Aubervilliers am Pariser Stadtrand erfolgte.

Werbung
Werbung
Werbung

Auf Adorno bezogen, ist dieses Werk über die Zerbröckelung der, amerikanischen Gesellschaftsmoral ein Befreiungsversuch von einem zum Alptraum gewachsenen Schock, den ihm zwei Amerikaaufenthalte versetzten. So ist es nicht verwunderlich, daß Adamov von einer wahren Begebenheit ausgegangen ist, daß alle seine Personen ihm bekannte „Modelle“ haben, die er zum größten Teil 1959 kennengelernt hatte, als „Ping-Pong“, sein erster sozialkritischer Versuch, in New York aufgeführt — und nach zwei Vorstellungen abgesetzt wurde. Nach der zweiten Reise (1964), die er auf Einladung der Cornell University unternahm, ließ er seine Personen um fünf Jahre altern und konfrontierte sie nun mit dem Vietnamkrieg. Andere Anregungen erlas er sich aus dem Buch des amerikanischen Journalisten James Mills über die rausch-giftsüchtige Beatgeneration, für die Adamov tiefe Sympathien hegt. Er studierte übrigens eifrig ihre Poesie und legte seinem „Helden“ Jim lange Zitate von Ginsberg, Kaufmann und Ferlinghetti in den Mund. „New York macht mir Angst“, gestand Adamov, und meinte damit, daß das Amerika der Städte und des ihm unerträglichen american way of life ihn mit Schrecken erfüllt. Der Kritik an seinem Stück hat er gewissermaßen vorgebeugt: „Man wird mir höchstwahrscheinlich sagen: Amerika ist nicht so, wie Sie es zeigen. Amerika mag zwar den Tod nach Asien tragen, es bleibt deshalb doch ein mächtiges, unerschöpfliches Lebensreservoir. Mag sein. Nur glaube ich nicht, daß das wahre Leben in der Metropole möglich ist, solange der Alptraum von Krieg und Kolonialismus — ohne von den anderen Alpträumen zu sprechen — weiter besteht.“ Dem „wahren“ Leben ist Adamov also nicht begegnet, wohl aber schlechtem Gewissen, Unaufrichtigkeit, Verworfenheit, In „Off Limits“ folgt eine Party auf die andere. Die gleichen Personen — Fernsehmagnate, Journalisten und ihre Frauen, Studenten — wiederholen die gleichen Phrasen. Man lädt sich zu kleinen „Reisen“ ein (und geht dabei so nachlässig mit den kostbaren Zigaretten um, als hätte man sie im Überfluß), demonstriert die Wirkungslosigkeit der immer gleichen Betäubungsmittel und macht — und das ist vielleicht die größte Schwäche des Stücks — allzu hartnäckig glauben, daß das große Unbehagen allein vom Vietnamkrieg herrührt. Die Fabel ist die simple Geschichte von Jim und seiner Freundin Sally, von ihrem Protest gegen die Ideologie ihrer Väter, von der sie sich nicht einfangen lassen wollen. Jim provoziert seine Freunde, will sie für den Frieden gewinnen, zerreißt seinen Einberufungsbefehl. (Um den Vietnamkrieg theatralisch zu gestalten, läßt Adamov die jungen Leute den Nahkampf proben ... „Mit Entsetzen denke ich an die Unziemlichkeit, von weißen Schauspielern die Gelben dargestellt zu sehen.“) Jim wird von der Polizei gesucht. Mit Sally, deren Papiere zwar in Ordnung sind, will er heimlich die mexikanische Grenze überschreiten. Beide werden erschossen. Sie sterben fern von jenem geschlossenen Freundeskreis, jenem sozialen Milieu, „das sich zwischen Washington Square, General Motors und der Villa von Katherine Hep-burn erstreckt“, wo ihre „Passion“ allerdings nicht nur zum bevorzugten Gesprächsstoff wird. Humphrey, der gewaltige Direktor der 5. Fernsehkette (dem Alkohol wie Adamov, wie „M“ der Gemäßigte verfallen), wird ihre Geschichte für Millionen nachzeichnen. Von der verzweifelten Kontestation der beiden Jugendlichen wird zwar nicht die Rede sein, dafür aber von einer herrlich-rührenden, erbaulichen, harmlosen Liebesgeschichte.

Adamov hat — wie viele Franzosen — Amerika als ein exotisches Land gesehen und begriffen. Diesen Eindruck verstärkt die Inszenierung von Gabriel Garran. Das Stück scheint zeitweise unter nach Amerika ausgewanderten Franzosen zu spielen, die sich gewissenhaft bemühen, „echte“ Amerikaner zu sein. Adamov befaßt sich zum erstenmal mit der unmittelbaren Gegenwart und bemüht sich zum ersten Mal um Poesie. Er selbst bezeichnet „Off Limits“ als bedeutend, und bedeutend ist es zweifellos für ihn, der die erfahrene Erschütterung verarbeiten mußte. Sein „an Amerika krankendes Amerika“ bleibt trotz aller glaubhaften Realität seltsam fiktiv.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung