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Vom Wienerlied zum Zwölftonjazz

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Vom 22. bis 28. November veranstaltete der Oesterreichische Rundfunk eine „W o c h e der österreichischen Unterhaltungsmusi k“. Es fanden — mittags, nachmittags und abends, zuweilen auf zwei Programmen gleichzeitig — insgesamt 51 Konzerte statt, in deren Programmen etwa 250 verschiedene Komponisten untergebracht waren. — So reich sind wir also? „Es wäre eine Selbsttäuschung“, schreibt der Leiter dieser Veranstaltungsreihe, Dr. Hans Sachs, in dem offiziellen Programmheft, „wenn wir uns nicht eingestehen würden, daß es eine profilierte Unterhaltungsmusik nur in bescheidenem Umfang gibt.“ Nach dem Gehörten muß man diesen Satz dick unterstreichen. Das vorläufige Ziel dieser Woche war, „zunächst einmal einen möglichst weit gespannten Ueberblick über die vielfältigen Zweige unserer heimischen Produktion zu geben". Den haben wir nun, und uns ist ein bissel schwach im Magen. Gleich in dem überdimensionierten festlichen Eröffnungskonzert gab’s Kraut und Rüben durcheinander, besser gesagt: viel leeres Stroh und wenig Weizen. Der Gesamteindruck war so deprimierend, daß man am Ende die wenigen guten, ernst zu nehmenden Komponisten, Hans Erich Apostel, Paul Kont, Gerhard Wimberger und Paul Angerer, bedauerte, in diesen Eintopf geraten zu sein.

Der Durchschnitt, der Kitsch und die Konvention dominierten quantitativ durchaus während dieser anstrengenden Unterhaltungsmusikwoche. Enttäuschend waren leider auch die seinerzeit heim Musical-Wettbewerb der Volksoper preisgekrönten Stücke „Eintritt verboten“ mit Musik von Rudolf Bibi und das „Wiener Panoptikel“ von Gerhard Narholz; erfreulich dagegen Hanns Jelineks „Bubi Caligula“ durch sein brillantes und witziges Textbuch (vom Autor) und’ die flotte, parodistische Musik, die auf weite Strek- ken freilich so klingt, als sei sie vor 25 Jahren geschrieben worden (das spielt bei Schubert oder Strauß keine Rolle, bei einer „modernen Operette“ aber ist es wichtig). Die Kantate „Kleine Leute in einer großen Stadt“ nach Kästner-Texten von Alois Me- lichar hätte dem Sujet nach sehr nett werden können, mündete aber in Ernst und Langeweile. Auch in den neun Liedern nach Dialektgedichten H. C. Artmanns war die allzu gefällige und konventionelle Musik Heinz Sandauers dem makabren Humor der Vorlage nicht entsprechend. — Den geschlossensten Eindruck machte das Konzert vom 26. Npvember, eine Direktübertragung aus dem Großen Sendesaal, mit folgenden profilierten, klanglich reizvollen, technisch interessanten neuen Werken: „Rhythmische Vokalisen“

für Sopransolo, Männerquartett, Baß und zehn Schlagzeuger von Peter Stein, „Celebrations an Epi- logue“ für großes Orcfiester von Karl Kowarik, „Three movements in colors“ für einen Sprecher, Hammondorgel, Playback und Orchester (nach grotesken, ziemlich ausgefallenen .Texten von Wedekind, Krolow und Lichtenberg) von Carl de Groof, fünf Jazzstücke in Zwölftontechnik von Hanns Jelinek, und zum Schluß ein gleichfalls in (freier) Zwölftontechnik geschriebenes „Concertino“ für Klavier, Jazzband und Streicher von Carl de Groof. Das waren fünf Uraufführungen, die sich wirklich gelohnt haben, ebenso wie die am gleichen Nachmittag gesendeten „Loga-Rhythmen“ von Gerhard Wimberger und die aus vier modernen Charakterstücken bestehenden „Tanzreihen“ von Helmut Eder. Zur Charakterisierung der übrigen Veranstaltungen setzen Wir nur einige allgemeine Titel her: „Gut gelaunt“, „Ein bissel wienerisch“, „Kennst du Wien“, „Alt-Wiener Miniaturen", „Neue Wienerlieder", „Draußen am Stadtrand von Wien", „Weana Hamur“ und, auf die ganze Woche verteilt, „Oesterreichisches Komponi- sten-Abc“ in sieben Folgen. Diese alle mit „Weana Hamur zu ertragen“: dazu gehört eine dickere Haut, als der Endesunterzeichnete sie besitzt, der mit Rilke abschließend meint: „Wer spricht von Siegen? Ue’oerstehn ist alles!“

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