7131373-1997_26_17.jpg
Digital In Arbeit

Von der Armut der Sprache

Werbung
Werbung
Werbung

Während seine Exzellenz, der Kanzler, von Einkom-mensumvertei-lungsgerechtig-keit, Werkvertragsquellensteuer, privilegierten Leichen im Keller, Sozialabbau, Durchstarten und davon spricht, daß man das Produkt Politik einfach überzeugender vermarkten und für den Konsumenten erlebbar machen muß, kollabiert eine renommierte Zeitschrift nach der anderen, ein Verlag nach dem anderen muß ausgeblutet, das heißt entsubventioniert seine Tätigkeit einstellen, alle meine Sprachrohre krepieren nach und nach, und auf mein Konto hat sich im letzten Monat nicht ein Groschen verirrt. Das ist ein Erlebnis! Da hat der arme Kanzler natürlich auch Quellensteuerpech!

In dieser nicht undramatischen Situation klingelt endlich wieder einmal das Telephon, und eine Zeitungsredakteurin sagt, sie macht eine Flashumfrage unter Schriftstellern, wie Sie zur Rechtschreibreform stehen. Ja, wissen Sie, flashe ich wieder einmal honorarfrei zurück, ich bin noch gar nicht dazugekommen, damit ein Problem zu haben. Nur soviel: Ich glaube nicht, daß mein Leben dadurch schöner wird, daß man Kuß jetzt mit Doppel-s schreibt. Der letzte ist auch schon so lange her, daß ich mich gar nicht mehr daran erinnern kann.

Ja, aber, wie kann man so negativ unterwegs sein! Sie als Schriftsteller!, sagt die Redakteurin, Ihr ureigenstes Handwerkszeug! Von Jelinek bis Gerhard Roth gehen Ihre Kollegen auf die Barrikaden! Ja, sag ich, es gibt eine Szene, die geht alle 14 Tage aus irgendeinem Grund auf die Barrikaden, weil sie nur auf den Barrikaden in den Medien ist, weil sie eigentlich nur ist, wenn sie auf den Barrikaden ist. Ich schreibe wie immer und bin froh, solange es noch Lektor, Korrektor, Verleger gibt, die mich orthographisch aktualisieren, wenn es sein muß, solang es nicht nur Medien gibt, bei denen es einerlei ist, ob sie „Orthographie” oder „Ortografie” schreiben, weil ihre Konsumenten ohnehin nicht wissen, was das ist.

Prompt habe ich mich zwei Tage später (neben einem uralten, dringend reformbedürftigen Photo!) als phlegmatisch-ignoranter Fatalist inmitten der sprachmoralischen Barri-kadistenelite wiedergefunden. Die „Verarmung der Sprache”, die mein sehr geschätzter ehemaliger Professor Brandstetter (mit recht neuem Foto) da befürchtet, hat mir dann aber doch zu denken gegeben. Armut wünsche ich niemandem! Und ich habe das unangenehme Gefühl, daß Armut immer dann entsteht, weil irgendwer gute Geschäfte damit macht und Verschwendungsbereiche expandieren. Ich hätte gerne das Geld, das für die Produktion all der neuen Wörterbücher aufgewendet werden muß: Das muß ja vorhanden sein. Allein die Umstellungskosten in den Schulbüchern sollen angeblich mindestens 80 Millionen betragen. Da sind die Informationsveranstaltungen und Broschüren für Lehrer noch nicht dabei: Die Tonnen arbeitsloser Lehrer, die sich seit Jahrzehnten vor Ort stapeln, werden sicher Verständnis für die harte Nuss und dafür aufbringen, daß Politik einfach überzeugender verkauft werden muß!

Ein wenig fürchte ich mich also schon auch vor der Verarmung der Sprache und vor den neuen Wörterbüchern, wenn ich dort unter dem Lemma „Schriftsteller” lesen muß: Ortografiekundige Person, die im Allgemeinen Tunfisch isst, weil sie sonst Pleite geht.

Ja wirklich, das wäre ein Albtraum, eine Katastrofe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung