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VON NEUEN BÜCHERN

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Petter Moen, der einsame Mensch. Ein Tagebuch. Aus dem Norwegischen übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Edzard S c h a p e r. Im Verlag der Arche, Zürich

Petter Moen wurde am 3. Februar 1901 in Drammen in Norwegen geboren. Seine Kindheit war durch die pietistische Frömmigkeit seiner Eltern bestimmt. Nach der Matura kam er nach Oslo, wo er eine Anstellung erhielt. Wahrend des Krieges arbeitete er im Dienst der illegalen Presse der norwegischen Wider- standsfront als Redakteur der .London Nytt („Londoner Nachrichten“)! zu Neujahr 1944 wurde er vom „Koordinationskomitee“, der obersten Führung der Heimatfront, zum Pressechef der gesamten illegalen Publizistik ernannt. Aber 6chon am 4. Februar wurde er von der Gestapo verhaftet und in die Victoria- Terrasse, Oslo, Möllerstraße 19, eingeliefert.

Am 10. Februar beginnt Petter Moen als Häftling Nr. 5842 in der verschärften Einzelhaft der (acht Quadratmeter großen) Zelle D. 2 6ein Tagebuch. Er nimmt sich aus dem Verdunkelungsfenster der Zelle einen Drahtstift und beginnt, meist in Großbuchstaben, 6eine Aufzeichnungen in das graubraune Toilettenpapier zu 6techeni dann rollt er je fünf Blätter numeriert in ein sechstes zusammen und zwängt sie durch das Gitterwerk einer Ventilationsklappe, von wo sie — wie man später entdeckte — durch den Luftsog unter die Zellenfußböden geweht werden. Vom 10. Februar bis zum 4. September schreibt er auf solche Weise sein „Tagebuch .

Den Glauben hatte der Dreiundvierzigjährige längst verloren. Wiederholt bezeichnet er sich in seinem Gefängnistagebuch als „Logiker und Kausalist“, er ist ein kühler Intellektueller! nie in seinem Leben hat er eine Bibel vermißt. „Kein Zweifel, daß im Laufe der Jahre zerstörerische Mächte die Übermacht über mich gewonnen haben , schreibt er am 23. März ins Tagebuch. „Viele Jahre lang war mein Wahlspruch Max Stirners: Idi habe meine Sache auf nichts gestellt — ich habe meine Sache auf mich selber gestellt. Als diese Einstellung auch auf das Erotische übertragen wurde, erhielt sie inen riesigen Kraftzuschuß aufgestauter Energie —, die destruktiven Kräfte gewannen völlig die Oberhand, und es endete damit, daß ich mit beiden Beinen mitten im Sadismus und in einer Philosophie der Vergewaltigung als ,1’art et la science de la vie’ stand.. . Die ersten Tage in der Victoria-Terrasse bedeuten für Petter Moen eine Reihe von Verhören, in denen die Gestapo durch Folter, wie er später gesteht, alle Geheimnisse aus ihm herausholt. Daß er seiner Aufgabe in der Widerstandsfront nicht gewachsen war und durch seine Geständnisse andere an die Gestapo au6lieferte — „diese beiden Tatsachen haben mein Selbstvertrauen und meinen Stolz tödlich verletzt“, schreibt er am 20. März in einer Stunde tiefer Niedergeschlagenheit.

In diesen Tagen wird sein religiöser Unglaube erschüttert. Am 14. März lautet eine Aufzeichnung im Tagebuch: „Wenn man eine Nacht lang in dem eiskalten Keller der Victoria-Terra66e gestanden hat, Angstschweiß aut der Stirn, den Rücken zerechunden von faustdicken Tauenden und Gummipeitschen — da wird man weich. Ich habe das mitgemacht, und ich wurde so weich in den Knien, daß ich sie beugte und betete: .Herr, erlöse mich, ich vergehe I’

Aber schon regt sich auch der intellektuelle Widerspruch. „Ist der Glaube mehr als ein Wun6dimedianismus der Seele?“ fragt er am Morgen des 15. Februar, „Kann die Realität Gottes noch andere bewiesen werden als dadurch, daß ich an ihn glaube?“

Das Pendel zwischen Glaubenwollen und zweifelnder Skepsis wird nicht mehr zur Ruhe kommen. Am 19. Februar fragt er 6ich, ob sein Verlangen nach Gott aufrichtig und nicht ein „Produkt der Gefänignishaft 6ei. Wenn aber der Glaube an Gott, wie man behauptet, ein Erzeugnis der Angst sei, dann 6ei er ja auf dem rechten Weg. Ob das nun nicht Selbstbetrug sei, durch Leiden, Angst und Gebet „zu Gott zu’finden“? Auf jeden Fall betet er.

Glauben ist für Petter Moen etwas völlig Irrationales, und er verlangt nach dem inneren Glaubenserlebnis, nach etwas, das gleichsam über ihn kommt. Darum betet er, darauf wartet er. In dieser Wartezeit aber hat der Intellekt Zeit, seinen früheren Primat wieder geltend zu machen. So überkommen ihn Zweifel: wie denn Gott die Nazityrannei und alle die Folterungen zulassen könne, wo doch das Leiden nur die wenigsten zum Nachdenken bringe? Dann beruft er sich auf die Erfahrung: jedweder Glaube sei subjektiv ‘ind willkürlich, der Mensch ein Tier, das Schicksal des einzelnen zufällig; es gebe keinen Gott außerhalb des menschlichen Wesens; ob es ihn dann Innerhalb des menschlichen Wesens gebe? Er weiß es nicht Und wenn er bete, wo er doch nicht glaube: Bei das nicht Heuchelei, ja Blasphemie? Und wenn doch nicht: sei es dann nicht Egoismus? Und wie könne Egoismus zu Gott führen? Er weiß keine Antwort.

Petter Moen will sich eigentlich nicht selbst entscheiden! er will genötigt werden: durch ein Erlebnis oder durch eine unabweisbare .Verstaodeslogik. ET hat keinen Menschen, dem er seine Seelennot eröffnen könnte i auch später, da er nicht mehr in Einzelhaft i6t, gibt es niemanden für ihn, bis zum Tod. Mußte ihm da Gott nicht um 60 näher 6ein?

Da hat er am Montag, dem 6. März, in der abendlichen Dämmerung eine Vision: eine, zwei Sekunden lang schaut er das Bild des Gekreuzigten an seiner Zellenwand.

fet Petter Moen nun gläubig geworden? Er stellt fest, daß seine religiösen Erfahrungen keine Illusionen 6ind; er fühlt eine tiefe Sehnsucht nach der „Welt der Magie und ihren Werten als den tiefer liegenden Schichten seiner Seele, die 6onst von den intellektuellen und „moralischen Kräften in ihm überlagert sind. „Positiv und aufrichtig möchte ich gern .durch die Gnade erlöst’ werden. Und — ich will geheiligt werden in Christus. Ja! Ja! Aber er 6ieht keinen anderen Weg dazu als den der Angst, wenn sein „wissenschaftliches und moralisches Über-Ich gelähmt sind“.

Am 21. April 6ind die 75 Tage der verschärften Einzelhaft und bitteren Einsamkeit zu Ende. Petter Moen kommt in die „triviale“ Atmosphäre von Zelle D. 35 zu zwei anderen Häftlingen. In der nächsten Tagebuchaufzeichnung vom 19. Mai zieht er die Bilanz seine Ringens in Zelle D. 2 um den Glauben an Gott: sie ist negativ. Es lasse sich alles mit dem Selbsterhaltungstrieb und dem Egoismus erklären. „Ich kann nichts anderes feststellen, als daß mein ganz ehrlicher Versuch mich auf den Standpunkt zurückgeführt hat, den ich zwanzig Jahre lang eingenommen habe: Es gibt keine Wahrheit außerhalb des Menschen selbst. Das intellektuelle Ich hatte die dogmatischen Forderungen nach Glauben zurückgewiesen: es waren „ungesetzliche Wege.

Die Gesellschaft in der Zelle D. 35 ist alles eher als angenehmi von äußerer Stille kann keine Rede 6ein. Aber auch in seinem Innern ist es nicht still: „Es ist traurig, daß es keine .Erlösung’ gibt“ (4. Juni). Er fühlt, wie das Zusammenleben mit seinen Zellengenossen ihn oberflächlich macht. Innerlich fühlt er 6ich entsetzlich leer, da i6t nur Sehnsucht und Trauer. Aber für 6ein Schicksal eine theologische Ebene zu suchen, das scheint ihm absurd. „Die Tatsachen verweisen also unausgesetzt auf die Auffassung, daß alles theologische und teleologische Denken, rundheraus gesagt, nichts als .Schnurren im Kopf sind. Die ratio sagt abermals: Es ist weiterhin die Angst, die dich dazu veranlaßt, den theologischen Bonbon zu schlecken“ (20. Juni).

Er wagt seinen inneren Problemen nicht mehr in6 Auge zu sehen. Im Tagebuch vom 27. Juli wird das religiöse Erleben der Einzelzelle vollkommen entfasert, er hat „den magischen Kreis des Wunschdenkens gesprengt“. Am 10. August kommt er nochmals auf seine religiöse Problematik zurück: Religion ist bloßes Menschenwerk, Gott gehört der magischen Welt an, er ist ein Produkt der Wunschträume des Menschen. — Warüm er sich „so weitläufig mit dieser abgenutzten Frage“ beschäftige? Weil er mit der Möglichkeit rechnen muß, daß sein Leben auf dem Spiel, steht.

Die übrigen Seiten des Tagebuches gehören ausführlichen Berichten über das Gefängnisleben. Da6 letzte religiöse Wort ist eine Anrufung Gottes — war es eine echte Anrufung? — in der Aufzeichnung vom 31. August.

Am 6. September wird Petter Moen aus der Zelle D. 35 geholt, um nach Deutschland gebracht zu werden. Am Abend des 7. September, da das Transportschiff „Westfalen durch das Skagerrak fährt, anvertraut er einem seiner Mitgefangenen das Geheimnis seines Tagebuches. In der folgenden stürmischen Nacht läuft das Schiff auf eine Mine auf. Der Mitgefangene gehörte zu den sechs Gerettetem er konnte das Geheimnis weitergeben. Petter Moen fand mit 394 seiner Kameraden den Tod. Allem Anschein nach hat der Tod seine innere Verzweiflung und seinen Nihilismus besiegelt.

Wir aber hoffen, gegen den menschlichen, ach, so fragwürdigen Schein, daß sich „die Pforte zu Gottes grünen Weiden“ für Petter Moen aufgetan hat.

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