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Vor dem Bildschirm

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DIE BERÜCHTIGTE „SÄURE-GURKEN-ZEIT“ anspruchsloser Sommerunterhaltung, die alljährlich über Fernsehen und Rundfunk hereinzubrechen pflegt, machte sich heuer au) den Bildschirmen der ohnehin an zumeist recht schmale Kost gewöhnten österreichischen Fernseher überdeutlich bemerkbar. Matte Wiederholungen und keineswegs sehr überzeugende Spielfilmreprisen bildeten das Hauptkontingent eines ziemlich lieblos zusammengebastelten Programms. Man scheint im Ronacher der Auffassung zu huldigen, daß im Juli und August die Mehrzahl der Teilnehmer sich ohnehin an südlichen Gestaden zwischen Spanien und Jugoslawien tummelt und somit als kritischer Bildkonsument ausfällt Das stimmt zwar, doch mit der Einschränkung, daß an deren Stelle die große Zahl der ausländischen Sommergäste tritt. die in den Erholungsorten ihre abendliche Unterhaltung und Abwechslung zum überwiegenden Teil aus den Darbietungen auf dem Bildschirm bestreiten wollen. Eine so bescheidene Visitenkarte ist da nicht geeignet, deren Meinung über das Fernsehen im allgemeinen und über das österreichische im besonderen günstig zu gestalten. Und der einheimische Fernsehnormalverbraucher fragt sich mit Recht, wieso er diese sommerliche Flaute über sich ergehen lassen und hinnehmen muß, wo er doch nach wie vor seinen monatlichen Obulus von fünfzig Schilling entrichtet und dafür auch im Sommer die entsprechende Gegenleistung erwartet. Die Ankündigungen neuer und interessanter Vorhaben für Herbst und Winter vermögen ihn da nur wenig zu trösten. Zumal sich im Laufe der Ereignisse so manches Projekt wieder zerschlägt, das zur Beruhigung der Gemüter in die Diskussion geworfen wurde.

ZU EINEM BEINAHE ABSOLUTEN NULLPUNKT in der Reihe schwacher Fernsehsonntage wurde der 16. August, der nach der Wiederholung eines verträumten Fensterguckers über Altes und Neues in der Landschaft der „Neuen Welt“ am Fuße der Hohen Wand die Übernahme der zu einem Fernsehspiel ausgewalzten Anekdote unter dem Titel „Darf ich Sie eine Minute sprechen“ brachte. Der verschmockte Beitrag „0:0 — Kunst“, in dem mit Floskeln wie „Zero, der Neubeginn am Nullpunkt“ und ähnlichen „Gedankenblitzen“ nur so herumgewirbelt wurde, paßte genau in das Konzept ärgerlicher Langeweile.

EINEN ERFREULICHEN LICHTBLICK in dieser Periode mittelmäßiger und unterdurchschnittlicher Eintönigkeit bot die Bregenzer Eurovisionsübertragung der komischen Oper „La Cenerentola“ („Aschenbrödel") von Gioacchino Rossini in der von Dr. Hermann Lanske einfühlsam und geschickt gesteuerten Bildwiedergabe. Er ließ die aus Mrnik, Regie und Bühnenbild prickelnd und temperamentvoll aufsteigende italienische Atmosphäre zu voller Wirkung kommėn.'Unter der klugen und energischen Stabführiihg von Vittorio “Gtii, der schon vor vierzig Jahren eine Rossini-Renaissance einleitete, wurde dem Orchester (Wiener Symphoniker) und den Sängern (rein italienisches Ensemble) mitreißendes Tempo und virtuose Brillanz entlockt. Selten waren die Symphoniker in jüngster Zeit in einer so exakten und wohldifierenzierten Klangfülle zu hören gewesen wie bei dieser Festspielaufführung im Bregenzer Kornmarkttheater. Regisseur Carlo Piccinato, dessen Name durch zahlreiche Arbeiten an der Mailänder Scala vor allem in der romanischen Musik- und Theaterwelt einen guten Klang hat, inszenierte das zwei- aktige Werk ganz im Stile einer locker beschwingten Commedia dell’ arte und paßte sich damit beinahe nahtlos der schmissig-arabesken Musikalität Rossinis an. Mit erlesenem Geschmack und dezent angedeuteter barocker Pracht schuf Gottfried Neumann-Spallart aus wenigen Versatzstücken eine duftig-stimulierende architektonische Akzentuierung, die auch auf dem Bildschirm ihren Eindruck nicht verfehlte. Insgesamt eine ausgezeichnet gelungene Opernübertragung, deren Zwischenaktsplauderei mit den Hauptbeteiligten leider nicht den gleichen Schwung hatte.

DER SEIT JAHRESBEGINN AUFGENOMMENE engere Kontakt mit dem tschechoslowakischen Fernsehen bescherte uns die Aufführung eines kameratechnisch beachtlich gestalteten Revuefilms, „Die Neonen“, der bewies, daß man sich hinter dem Eisernen Vorhang einiges zur Unterhaltung seiner Mitmenschen einfallen läßt, an dem auch wir unsere Freude haben. Sich von solchen Darbietungen anregen zu lassen, wäre durchaus keine Schande für manchen unserer Fernsehgestalter.

WENIGER ERFREULICH, um nicht zu sagen: eher peinlich, waren die bisher in drei Fortsetzungen von Curd Jürgens verzapften Plaudereien. Es setzt einen immer wieder in Erstaunen, wie wenig Selbstkritik doch zuweilen Künstler gegenüber ihren eigenen Schöpfungen haben. Dabei könnte man sich vorstellen, daß der weitgereiste „normannische Kleiderschrank“ doch weit mehr zu bieten hätte als diese oft überaus naive Simplizität.

WIR SIND DURCHAUS DER MEINUNG, daß die im Kongo und an anderen brüchigen Nahtstellen unserer gärenden Welt verübten Greueltaten auch auf den Bildschirmen ihren Niederschlag finden sollen, um immer wieder das Gewissen der Menschen wachzurütteln. Damit künftig keiner sagen kann: „Ja, das habe ich ja gar nicht gewußt.“ Aber muß diese erschütternde Dokumentation menschlicher Ver- rohtheit und eines schrankenlosen Fanatismus ausgerechnet um 19.30 Uhr, da noch viele Kinder und Jugendliche neugierig vor den Bildschirmen hocken, an uns vorüberziehen? Dafür wäre doch viel eher in der Spätausgabe des Aktuellen Dienstes Platz!

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