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Wer könnte ich sein?
MEIN NAME SEI GANTENBEIN. Roman. Von Max Frisch. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt, 1964. 496 Selten. Preis 22 DM.
MEIN NAME SEI GANTENBEIN. Roman. Von Max Frisch. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt, 1964. 496 Selten. Preis 22 DM.
Nach sieben Jahren legt Max Frisch, der Schweizer Schriftsteller, einen neuen Roman vor. Seine
Theaterstücke, vor allem „Biedermann und die Brandstifter“ und „Andorra“, haben inzwischen davon abgelenkt, daß er im deutschsprachigen Raum durch die beiden Romane „Stiller“ und „Homo faber“ bekannt geworden ist. Das Theaterwerk Frischs hat auch im Ausland Anerkennungen gefunden, die Romane sind jedoch außerhalb
Deutschlands ohne Echo geblieben, | Das Hauptproblem des Romanciers Frisch ist offenkundig die
Identität. In den beiden vorange gangenen Romanen war die Frage nach der Identität in eine durchkonstruierte Fabel umgesetzt, in dem neuen Roman ist die Umsetzung direkter. Die Frage ist nicht mehr, wer bin ich, sondern: wer könnte ich sein. „Ich probiere Geschichten an wie Kleider“, heißt es ziemlich am Anfang, und damit niemand an der Bedeutung dieser Aussage der Hauptfigur zweifle, behauptet sie einen Absatz für sich allein. Die Geschichten, die der Erzähler unter dem Namen Gantenbein oder Enderim ausprobiert, sind teils auf einer realen, zumeist jedoch auf einer phantasierten Ebene erzählt und gelten vorwiegend der Beziehung zu einer Frau namens Lila. Die Perspektive wechselt oft, von Gantenbein auf Enderlin und den Ich-Erzähler, und wieder zurück. Trotzdem geht das Milieu aus den hingeplauderten Episoden eindeutig hervor. Es ist dasjenige des Schweizer gehobenen Mittelstandes, und in den Ansatzpunkten mag es demjenigen ähnlich sein, das der Architekt, wenn schon nicht Schriftsteller, Max Frisch aus eigener Anschauung kennt.
Der autobiographische Gehalt des Romanis ist nicht nachzuprüfen. Eine gewisse Flachheit des Textes, die aus einer mangelhaften Umsetzung, oder anders gesagt, aus zu großer Identifikation des Autors mit seinen Phantasien resultieren kann, legt allerdings den Verdacht nahe, daß ausschließlich autobiographisches Material und ein autobiographisches Anliegen an einen Einfalt aufgehängt wurde, dessen Tragfähigkeit für diese Zwecke zu gering ist. Es bleibt nämlich ohne Belang, welche Perspektive der Autor für seine Episoden wählt, sie gleichen einander in ihrer bürgerlichen Banalität wie ein Frühstück dem ändern. Die Frage nach der Identität ist allein für sich, ohne den Versuch einer metaphysischen oder klinischen Antwort, banal in jenem Sinn, in dem alle metaphysischen Fragestellungen banal bleiben müssen, dahinter nicht eine spekulative Anstrengung steht. Das Bemühen, das eigene Ich sozusagen von außen be-
obachten zu können, ist dasjenige des maraistischen Voyeurs. Die Phantasie Gantenbeins darüber, was wäre, wenn er, für die Welt blind, faktisch jedoch sehend -sein Leben leben könnte, haben den Haut-Gout des Tagtraums eines Voyeurs, der wünscht, unerkannt und ungestraft seinem Laster nachgehen zu können.
Freilich verdankt so mancher Text seine literarische Geltung der psy- chopathologischen Genauigkeit seiner Observationen. Doch muß jeweils Sprache und Gestaltungsvermögen den klinischen Fall auf die Ebene der Dichtung hdben. Der Plauderton, dessen Leichtigkeit und Eleganz die Unterhaltungsliteratur zur Unterhaltung macht, hat neuerdings Eingang in die Belletristik ernster literarischer Ambitionen gefunden. Ein wesentliches Merkmal des Geplauders auf literarischer Ebene — es gibt eine ganze englische Tradition darin — ist jedoch die Genauigkeit des Denkens, der Bilder, der Sprache. Sobald eine bestimmte Wirkung in der Erzählung nicht durch die sinnfällige Knappheit intendiert wird, sondern durch die pleonasti-sche Häufung syntaktisch gleichrangiger Sätze und Satzteile, schwemmt die Vielfalt der leicht hiingeworfenen Ausdrücke die Bedeutung davon. Der Belanglosigkeit der aufgeworfenen Problematik entspricht dann die Häufung der Belange, die gerade noch untergebracht werden müssen.
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