7115310-1996_13_12.jpg
Digital In Arbeit

Wer sich weniger leistet, hat mehr vom Leben

Werbung
Werbung
Werbung

Die Idee, meint Hilde Prucha, habe sie einsam am Schreibtisch gehabt. Eine Zeitungsnotiz irgendwann im Frühling vergangenen Jahres, Gespräche mit den Kollegen, ob „weniger nicht mehr ist". Die Ko-Direktorin des Bildungshauses Schloß Puchberg lud sie schließlich ein, die zwei Käuze aus Den Haag, die sich dem Sparen verschrieben haben. „Glücklicher mit weniger", hieß dann das Seminar mit Hanneke van Veen und Bob van Eeden, zu dem rund 200 Interessierte gekommen waren.

Die Psychotherapeutin van Veen und der Betriebsberater van Eeden begannen als kleine Sparer im täglichen Umgang mit den Dingen. Mit dem Beduzieren der Shampoo-Men-ge auf die Hälfte, dem Aufschlitzen fast leerer Zahncremetuben und dem mehrmaligen Versenken ein- und desselben Teebeutels in frisches, heißes Wasser. Vom Gemüse wurde auch der letzte Stengel verzehrt, altes Brot bis zum letzten Krümel verwendet. Sparer dieser Kategorie sind auch hierzulande vereinzelt zu beobachten^

Richten wir die Lupe nach Kärn^ ten, nahe bei Feldkirch. Da - ein Wei -ler namens Fuchsgruben, ein Bauernhaus, eine Wohnküche. Familie Puggl lebt hier seit Jahrzehnten schon, noch bevor es Esoterik-Messen gab, nach dem Mond und dem Gewissen. Geschirr wird - mit Ausnahmen - ohne Spülmittel gereinigt, selbstgezogene Küchenkräuter ersetzen Maggi-Gewürzwürfel. Eine Hes-peride säuert im Begal auf ihre Bestimmung, Essig zu sein; in einem dunklen Tonkrug werkt ein Joghurtpilz. Wasser verwenden die Puggls für mehrere Arbeitsgänge, anstatt es nach dem ersten, etwa Kochen, abzugießen. Ein Keller, gefüllt mit leckeren Dingen aus dem eigenen Garten und dem nahen Wald erspart die Einkaufsfahrt in die Stadt. Da hängt auch selbstgezogener Speck, vom Vieh, das der Sohn übernommen hat.

Das Glas der Lupe mit dem Thema „Maßhalten" trübt sich. Was war mit diesen Holländern?

Im Hause van Veen-Eeden wurde das Sparen zum Virus. Für einige Monate geplant, dauert das Experiment nun schon sechs Jahre. Es ist nicht dabei geblieben, dem Teebeutel den letzten Farbschimmer herauszulaugen. Einer der fettesten Brocken im Buch des Sparens war der Verzicht auf das Auto. Dann der Umzug in eine kleinere Wohnung. Insgesamt reduzierten sich die monatlichen Ausgaben inzwischen von 30.000 auf 12.000 Schilling für beide.

So einfach, wie sich darüber schreibt, ist Sparen aber nicht. „Man muß auch Mut haben," sagte Rob van Eeden in der Radio-Sendung „Nova" (Öl), „es ist nicht einfach, wenn jeder in der Umgebung maßlos ist". In Holland gibt es mittlerweile, erzählt das sparsüchtige Ehepaar, Tausende Leute, die mitmachen.

Woher schlich das Wort sparsüchtig in diesen Text, ist Sparen etwa eine Obsession? „Nein", lacht van Eeden. „Kaufen war eine Obsession. Sparsamkeit kostet keine Zeit. Es ist eine Obsession, wenn man denkt, nur durch Kaufen dazuzugehören."

Unter den Lesern der „Vrekken-krant", der holländischen Geizhälsezeitung (Auflage 5.000 Stück), hat sich die Tendenz zum schöpferischen Sparen breitgemacht. Neue Funde im Reich der unbegrenzten Sparmöglichkeiten werden umgehend den Sparkollegen mitgeteilt. Es geht nicht darum, meinen die beiden Initiatoren der Bewegung, Preise zu vergleichen, und jeden Gulden mehrmals umzudrehen. Ein genügsames Leben, lautet das Credo, orientiert sich an der Frage: „Was bin, will und brauche ich?"

„Für eine Gesellschaft, die auf Konsum ausgerichtet ist," meint Hanneke van Veen, „gilt Sparen nicht als Tugend. Jene, die sparsam leben, schämen sich oft dafür. Lebensqualität mißt sich jedoch nicht an der Kaufkraft."

Was, fragt man sich spätestens an dieser Stelle, macht ein gelernter Geizkragen eigentlich mit dem gesparten Geld? Wäre sein einziges Ziel die Ansammlung an sich, würde er sogar seinem Namen gerecht. Denn geizig ist, wissen die Psychoanalytiker, wer für spätere Zeiten hortet, ohne sich je in der Gegenwart Lust zu gönnen. Dazu der Psychotherapeut Alfred Pritz zum Thema Sparen: „Das übermäßige Sparen tritt bei Personen auf, die sich keine Lust gönnen dürfen. Der Prototyp dieser Persönlichkeit ist der sogenannte geizige Mensch."

Die beiden holländischen Geizkragen scheinen — per definitionem - eigentlich gar nicht geizig zu sein. Obwohl sie mit ihrem kargen Lebensstil bereits ein kleines Kapital gespart haben. (Ohne Neid sei die Vermutung angemerkt: ein Kapital, das sicher auch durch den Verkauf ihrer beiden Bücher"' über - neu interpretiertes -Geizkragentum genährt wird.)

Nein, geizig sind sie trotzdem nicht. Denn ihr lustspendendes Fernziel heißt Zeit. „Wenn ich noch zwei, drei Jahre gespart habe", hofft Bob van Eeden, „kann ich zu arbeiten aufhören." Auch in Holland gibt es sehr viele, die keine Arbeit haben. „Wenn ich zehn Jahre früher aufhöre", meint auch Hanneke van Veen, „gibt es -theoretisch - einen Arbeitsplatz für einen anderen."

Mehr Zeit als früher haben die beiden schon jetzt. Weniger Einkaufen bedeutet auch weniger Schlange stehen, weniger auspacken müssen, weniger einräumen, weniger... et cetera. Wo soll denn das hinführen, wenn sich alle dem Konsum verweigern?

Rob van Veen: „Bereiche wie intensive Landwirtschaft, Auto-, Chemie- und Textilindustrie würden zurückgehen." Aufleben würden -nach Ansicht des ehemaligen Betriebsberaters, der nun freiberuflich tätig ist - etwa die Bioproduktion, alternative Energieformen oder Ausbildung im allgemeinen ...

Die Gefahr, daß eine solche Geizhalsbewegung österreichische Lebenslust im Keim erstickt, scheint allerdings nicht gegeben. „Ich glaube nicht", meint Motiv- und Marktforscherin Helene Karmasin, von der furche zum neuen Knausertum befragt, „daß das in Österreich eine Chance hätte. Diese Art von Beken-nertum gibt es hier nicht." Denn eigentlich seien die Österreicher — trotz eines österreichischen Sparguthabens von 3.500 Milliarden - nicht angelegt aufs Verzichten. Uns gehe es vielmehr darum, meint Karmasin, materielle Objekte mit einer ganz hohen Bedeutung auszustatten, die uns eine adäquate Teilnahme am Leben der Gesellschaft erlauben. Diese Geizhals-Bewegung in den Niederlanden, meint sie, sei zwar sehr aggressiv und plakativ, aber: „Sie ist die Spitze eines Eisberges, die die allgemeine Mentalität des Konsums in Frage stellt."

Dazu gehört, um es mit Karmasin zu formulieren, auch „der Kick, moralisch zu handeln". Belebendes Adrenalin wird also nicht mehr vorrangig durch den Erwerb sündteurer Wohnlandschaften oder raffiniert geschlungener Partyroben ausgeschüttet. Das freiwillige Beibehalten des alten Fransendiwans oder des kleinen Schwarzen vom vorjährigen Ball ist es also - schenkt man den Marktforschern Glauben -, das uns längerfristig in Entzücken versetzt. Womit wir bei der Frage wären, wer kann sich knausern denn überhaupt leisten?

Österreichs „Geizkragen" spalten sich in zwei Gruppen: „Die Gebildeten, die bereits genügend Objekte zu Hause stehen haben", meint die Marktforscherin. „Sie definieren sich auf ethischer Ebene. Diese Leute fragen nicht mehr, kann ich mir das leisten, sondern: darf ich's mir leisten?"

Und jene, die aus der Not die Tugend machen. Also die Habenichtse und Sparopfer, die sich nun auf die begrenzte Situation einrichten.

In Österreich zeichnet sich - zwischen maßlosem Verbrauch und extremer Konsumverweigerung - ein moderaterer Trend ab. Er heißt: benutzen, statt besitzen.

Etwa car-sha-ring, das gemeinsame Benutzen von Autos, oder von Haushalts- und Arbeitsmaschinen. Noch ist diese Konsumform in der Schweiz ausgeprägter als bei uns. Die Eidgenossen denken eben mehr als wir in Gemeinschaftsbezügen, meint Helene Karmasin. Ein Trend, der aber auch bei uns Chancen hat. Warum, fragt Oli-viero Toscani, berühmt-berüchtigter Photograph des Benetton-Konzerns, sollte man in Zeiten knapper Ressourcen mehr konsumieren, wenn der gesunde Menschenverstand uns riete, die Schuhe nicht wie die Socken zu wechseln? Die beunruhigte Öffentlichkeit, schreibt er in seinem Buch „Die Werbung ist ein lächelndes Aas", sucht nach Qualität, nach Bobustem und Haltbaren und hat schon begriffen, wie dumm der Konsum um jeden Preis ist.

Im Bildungshaus Puchberg, Oberösterreich, tüftelt die Ko-Direktorin Hilde Prucha bereits am Herbstprogramm. Aufgrund der starken Nachfrage, sagt sie, sollen die zwei Geizkragen aus Den Haag im Oktober wiederkommen...

''„Wie werde ich ein richtiger Geiihals?"

„Knausern Sie sich reich. Geizhälse haben mehr vom Leben."

Beide: Hanneke van Veen, & Rob van Eeden, MVG Verlag München, Juli 1995,1996.

Bildungshaus Schloß Puchberg,

4600 Wels, Puchberg 1, Tel 0 72 42j 46 5 58, Direktor-Stv. Hilde Prucha

Die Autorin ist

freie Mitarbeiterin der FURCHE

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung