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Wiedergeburt des Wiener Humors

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Die erste Weihnaditspremiere des Volkstheaters in Wien hat ein altes Erfolgsstück in wahrhaft neuem Glänze erstehen lassen. Hans Weigel hat V. Sardous „Madame sans Gene“ für die Gegenwart bearbeitet — zum Hausgebrauch aller jener, welche es angeht. Und wahrhaftig, es geht viele an. Diese tapfere Frau Catherine, die vom Wäschermädel der Revolutionszeit zur Herzogin und Marschallin von Frankreich aufsteigt, bleibt in der Waschstube von 1792, im Salon ihres Pariser Palais, im kaiserlichen Schloß Napoleons d i e selbe — der selbe kerngesunde, quellfrische Mensch, in dessen Herzen über allen Fahnen und Parteien die Liebe zur Gerechtigkeit, Wahrheit und Menschlichkeit thront. Madame sans Gene sagt also den Revolutionären der Grande Revolution ebenso die ihnen wenig gelegene Wahrheit, wie den Hofschranzen der neu. und altadeligen Gesellschaft der Arrivierten am Hofe des Diktatorkaisers Napoleon, damit aber stehen wir bereits mitten in der Gegenwart. Dieser Napoleon der Weigel-Wiener-Neubearbeitung hat wahrhaftig gelernt aus dem Treiben und herrscherlichen Gebaren der Napoleoniden der letzten hundert Jahre, man atmet die Luft irgendeiner Reichskanzlei unserer Epoche, wenn dieser Napoleon seine Todesurteile fällt, wenn Foudie, der allmächtige unter allen Regierungen wiederkehrende Polizeiminister, seinen triumphalen prophetischen Sang vom endlichen Sieg der Polizei über die Menschheit singt, wenn devote Dienstgrade aller Schattierungen die personifizierte und glorifizierte Gewalt umtänzeln! Ganz natürlich erscheint es deshalb auch, daß Christi Mardayn die Madame sans Gene ins Wienerische nicht übersetzt, sondern mit Leib und Seele hinüberspielt! Nicht zuletzt durch ihre tragende Leistung wird so aus dem französischen Singspiel ein Werk der Wiener Muse — ein köstliches Denk-, Hör- und Mahnmal wienerischer Bewältigung des Lebens. Wie hervorragend sich französische Lustspiele für eine Übertragung ins Wiener Milieu eignen, hat bekanndidi in klassischer Form Nestroy dargetan. Wer dürfte es also unserer Madame sans Gene verübeln, daß sie nicht nur Revolution und Napoleon, sondern audi Währung und Wirrung unserer Tage, das vierblätterige (Glücks?)-Kleeblatt unseres Landes, welches mit drei Blättern nicht funktionieren kann, in den Kreis ihres singenden Sagens der Wahrheit einbezieht? Das große „N“ — Napoleon — welches die Freuden und Leiden der kleinen Menschen-Erdenwürmer auf der Bühne überschattet, würde seinen Sinn verlieren, wenn es nicht Symbolträger aller

Tellshüte, die über unserem Leben aufgehangen sind, sein könnte, dürfte, müßte. Die Wiener Zeitnote wird noch aufs Allerfeinste unterstrichen' durch ein Couplet des Grafen Neip-perg, welches Sondererwähnung und -applaus verdient, gibt es doch in würziger Kürze ein ganzes Lexikon des Wieners, das so beachtenswert ist, daß wir hier von einer echten und rechten Nachfolge Nestroys sprechen dürfen. Dergestalt aber erhebt sich das köstliche, uralte Spielchen zu einer Renaissance des Wiener Optimismus — nicht zu einer fadenscheinigen Wind-Wetter-Sonnenschein-Prognose, sondern zu einer echten Wiedergeburt aus dem Glauben, daß ein Mensch, der das Herz am rechten Fleck hat, zudem noch mit ein bißdien Geist und Witz versehen ist, es mit einem Schock von Teufeln aller Art aufnehmen kann. Wir hoffen, daß die Gesinnung dieses Stückes wie ein elektrischer Funke von der Bühne auf das Leben überspringt: Dann hat das Volkstheater seine höchste Aufgabe erfüllt: Bühne, Lehre des Volkes zu sein.

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