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Aug in Auge mit dem Erzabt

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Ich trat ein. Der Bischof und Erzabt von

Monte Cassino P. Gregorius Dia-m a r e, ein achtzigjähriger ehrwürdiger Greis, erwartete mich in seinem Empfangssalon. Stolz-bescheiden, demütigerhaben, bewußt seines hohen Amtes als Nachfolger des heiligen Benedikt, trat er mir einige Schritte entgegen. Nichts Asketisches war an ihm, nichts Herrisches, nur unendliche Güte ging von ihm aus. Sie war der erste Eindruck, den man von ihm empfing, sie war es, die seine ganze Persönlichkeit charakterisierte, sie strahlte aus seinen Augen, sie umgab ihn wie ein weicher, samtener Mantel.

„Gesegnet sei der Name des Herrn“, sprach ich grüßend.

Er neigte das Haupt und murmelte Dank. Plötzlich fiel mir ein, daß ich die unvermeidliche Dienstpistole an c'.er Seite trug und daß sie hier vielleicht störend wirken könne. So setzte ich hinzu:

„Ich komme in Frieden, 60 wie ich wünsche, daß er mir dereinst zuteil werden möge.“

Das war etwas kompliziert, mein Südtiroler stolperte ein wenig.

Der Abt lud zum Sitzen ein, einige höfliche Redensarten wurden gewechselt, dann trat eine kleine Verlegenheitspause ein.

Ich wußte noch immer nicht, wie ich der Weisung meines Gewissens nachkommen sollte. Der Abt schien keinerlei Gefahr zu ahnen. Zwar war sein Bischofssitz unten in Cassino bereits zerstört, aber das uralte Kloster auf dem Berge schien ihm offenbar in den Augen der ganzen Welt ehrwürdig genug, um vom Krieg verschont zu werden. Sonst hätte er — und hiebei mochte die seit dem Altertum geübte Sitte der Freistatt sein Denken beeinflußt haben — nicht Tausenden von Flüchtlingen in den Räumen und Höfen des Klosters Unterkunft gewährt. Achtete doch auch die deutsche Wehrmacht die heilige Stätte aufs genaueste; nur zu bestimmten Stunden durften die Soldaten sie besuchen, und selbst dann waffenlos und nur unter Führung durch einen Priester. Kurz, der Abt war überzeugt, daß der Abtei nicht die geringste Gefahr drohe.

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