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Der letzte Rundgang durch das Kloster
verschaffte mir die beruhigende und erhebende Gewißheit, daß ganze Arbeit geleistet worden war. In über hundert Wagenlasten waren alle Kostbarkeiten in Sicherheit gebracht worden. Zwar wies Don Eusebio, der Malermönch, der gleichzeitig Kustode der naturhistorischen Sammlungen war, noch auf diese hin, doch waren keine sehr wertvollen Objekte darunter, hauptsächlieh präparierte Vögel, auf deren Rettung zu verzichten war. Da tat es mir um den lebenden Raben Niko wesentlich mehr leid. Die Mönche hielten ihn zum Andenken an die fromme Legende, wonach der hl. Benedikt durch einen gottgesandten Raben gespeist worden war. Es war ein schönes Tier mit blauschimmerndem Gefieder, starkem Schnabel und mächtigen Fängen. In drolligen Sprüngen, die er mit seinen Schwingen unterstützte, hüpfte er auf Stiegen und Höfen umher, und wenn Don Eusebio ihn ansprach und nach seinem Namen fragte, antwortete er deutlich: Niko! Er mag wohl jetzt unter den Trümmern der Abtei ruhen ...
Nachdem die letzte Runde durch alle Räume gemacht war, setzten wir uns zu einer kurzen Rast in die Bibliothek. Hier hatte ich manchmal gesessen, die herrliche Fernsicht genießend, oder mit beginnender Dämmerung in Sinnen versinkend, ganz hingegeben an die unbeschreibliche Weihe des Raumes. Diese
Minuten waren reicher Lohn für meine Mühe. Ich kann den Schmerz der Brüder über ihren Verlust ermessen) überkommt doch selbst mich tiefe Wehmut, wenn ich der Fensterecke in der Bibliothek denke. Noch dieses oder jenes Buch sollte morgen mit der letzten Fuhre fortgebracht werden. loh stellte es den Mönchen frei, zu laden, was sie für nötig hielten. Ich selbst zog mich zurück, denn morgen sollte der Erzabt die versprochene Dankesmesse zelebrieren, und ich mußte noch die nötigen Vorbereitungen treffen.
Tags darauf — wir hatten uns alle so schön und sauber als nur möglich gemacht, standen wir in der festlich erleuchteten Kirche: die noch im Kloster weilenden Brüder, meine Soldaten und ich. Am Altar der greise Abt, ehrwürdiger denn je, voll tiefer Bewegung, als ahne er, daß es eine der letzten Messen war, die er in der Klosterkirche zelebrieren durfte. Meine Soldaten waren zum größten Teil evangelisch, aber keiner konnte sich dem Banne des Augenblicks entziehen. Uber meine Empfindungen schweige ich.
Nach Beendigung der Messe schritt der Abt auf mich zu, winkte mir näher zu treten und überreichte mir vor dem Hochaltar mit innigen Dankesworten ein Pergament, das ganz in mittelalterlicher Art gehalten und mit dem alten Siegel von Monte Cassino an gelbroter Schnur versehen war. Mit schön gemalter Initiale ausgestattet, in lateinischer Sprache und in langobardischer Schrift geschrieben, begann es:
„In nomine Domini nostri Jesu Christi Illustri ac dilecto viro tribuno militum Julio Schlegel, qui monachis servan-dis..
Zu deutsch (frei):
.Im Namen unseres Herrn Jesus Christus. Dem erlauchten und geliebten Militärtribun J. Schlegel, der die Mönche und Schätze des heiligen Klosters Monte Cassino mit viel Arbeit und Eifer rettete, danken aus ganzem Herzen die Cassinenver und bitten Gott um sein weiteres Wohlergehen.
Monte Cassino, am 16 November MCMXLIII.
Gregorius D i a m a r e m. p. O. S. B. ErjiscoDus et a/bbas.“
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